Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601



Apotheose eines hochbegabten Cholerikers oder: Was hat der reaktionäre Luther mit Donald Trump zu tun?

Meine polemische Abrechnung mit dem Reformationsjubiläum     

Mon Dieu, das Lutherjahr 2017 geht mir mittlerweile gehörig auf den Keks. Es wirkt auf mich wie ein vorzeitiges Nachsitzen außerhalb des Purgatoriums, sprich: des Fegefeuers. Und damit wären wir fast schon beim Thema: Über Monate habe ich mir anhören müssen, dass die katholische Kirche seinerzeit durch den Ablasshandel Sündenvergebung verkauft hätte. Ein Redakteur schreibt vom anderen ab. Ganz wie Mr. Bean im bekannten Prüfungssketch.

Nein, liebe Leute, die Faktenlage ist doch etwas anders: Zeiitliche Sündenstrafen sollten nach der bereits erfolgten Sündenvergebung u.a. durch Ablässe verringert werden. Das ist der elementare Unterschied.

Keine Frage: Das alles ist uns heute - ebenso wie Luthers Suche nach einem gerechten Gott - völlig fremd geworden. Die pekuniäre Handelsform des Ablasses pervertierte die ehemals durchaus nachvollziehbare Idee. Sie wurde von Dr. Luther zu Recht auf die Disputationsagenda gesetzt. 

Apotheose eines hochbegabten Cholerikers

Ich konnte gar nicht umhin, mich mit dem medialen Kassenschlager „500 Jahre Reformation“ intensiv zu beschäftigen, es gab Eintritt ohne Entrinnen: Ein Hochbegabter aus besserem Hause (er stapelte jedoch gerne tiefer) mit Neigungen zu Gemütsschwankungen wird über Jahrhunderte und dann noch einmal medial hochkonzentriert einer umfänglichen und mitunter karikaturhaften Apotheose zugeführt. Um zu dieser Einsicht zu gelangen, mussten gar nicht erst putzige Luther-Devotionalien erworben werden.

Ob diejenigen vernünftig sind, die den sog. Reformator einen Hassprediger, Aggro-Luther oder dergleichen nennen, weiß ich nicht so recht. Es wird damit sicherlich eine nicht unbedeutende Facette dieser Person angesprochen. Seine Authentizität, sein bohrender spiritueller Impetus gefällt mir zuweilen, aber dann ist es bitteschön auch schon gut so.

Luther bei Twitter ohne Stro(h)m

Apropos Authentizität. Das scheint ja gerade das zu sein, was Donald Trumps Wählerklientel an ihm in den USA so schätzt. Diese Unverstelltheit eint ihn durchaus mit Martin Luther. Aber dessen nicht genug: Wie Trump einen ernüchternden Tweet nach dem anderen heraushaut, so spielte Luther virtuos die Klaviatur der damals neuen Medien, allerdings ganz ohne Strom.

Martin Luther und Philipp Melanchthon waren zu einem Teil eigenhändig damit beschäftigt, pointierte Thesen der kleineren Art zu initiieren. Kostenpflichtige Flugblätter und mehrseitige Flugschriften (übrigens äußerst einträglich für den Haushalt Luther) ermöglichten die sog. Reformation auf breiter Basis: Für Nichtlesende waren insbesondere illustrierte Flugblätter ungemein attraktiv. Auflagenstärken von bis zu 2000 Exemplaren stellten einen nicht zu unterschätzenden Faktor dar.  

Ein im Profil mit Doktorhut dargestellter Luther, der ab 1521 auf Münzen zu sehen war, machte ebenso die Runde. Sicherlich hatte er diese Ehre nicht selbst in Auftrag gegeben, die zuvor nur dem Kaiser zuteil wurde. Luther nutzte aber den Medienhype in kluger Weise, den Bildungsbürger-Buchmarkt selbstverständlich ebenso. Und damit wären wir auch bereits bei den Dingen, durch deren Umgang sich Trump und Luther kategorial unterscheiden.

Johann Tetzel, die posthumen Patenschaften und Luthers Fahrradkette   

Was mich ganz besonders in diesem germanozentrischen Ein-Personen-Reformationsjubiläumsjahr 2017 gestört hat, waren die – hermeneutisch inkorrekten – posthum platzierten Patenschaften, die das "sanft lebende Fleisch zu Wittenberg" (Thomas Müntzer) auf den Weg gebracht haben soll. Was der gute Martin nicht alles erfunden hat! Mannomann, selbst die Demokratie soll auf ihn zurückgehen. Analog könnte man auch behaupten: Johann Tetzel hätte die Krake Amazon und/oder seelenberuhigende steuermindernde Spendenquittungen maßgeblich erdacht.

Nein, bereits das im Zusammenhang mit Luther unreflektiert gebrauchte Wort „Reformator“ eröffnet diesen Reigen der positiven Verdächtigungen: Mit klugen Impulsen zu Kirchenreformen war Martin Luther als „gewaltiger Bauerngeist“ (Huizinga) völlig überfordert, da gingen dem Choleriker wöchentlich die Pferde durch. „Besen, Besen! Seids gewesen“ war zu häufig die Parole nach ungestümen Parforceritten. Ich frage mich, warum es bis heute dieses euphemistische Wortfeld der „Reform“ so unwidersprochen gibt. Eigentlich ist die Reformation doch ordentlich daneben gegangen, oder? Keine Konzeption, unnötiger Aktionismus, mehr Moralin und Obrigkeit. Vor allen Dingen aber: nicht weniger Leid.

War es hingegen eine Tragödie? Nein, auch das nicht, denn eine Tragödie geschieht im klassischen Sinne zwangsläufig und unaufhaltsam. Luther hätte als Alphatyp unter Alphatypen an vielen Stellen anders handeln können, ja sollen. Aber wie so oft: hätte, hätte, Luthers Fahrradkette. 


Übergriffige Staatskirchengottesdienste                  

Ein zunächst versöhnlich wirkender und zunehmend moralisierender Höhepunkt der alimentierten Historienprojektionen war der Staatskirchengottesdienst am 31.10.2017 in der Wittenberger Schlosskirche mit Kirchen- und Politfunktionären und den unvermeidlich insinuierten Agitprops. Es war eine Show der Selbstvergewisserungssehnsüchte, vielleicht auch eine wahrhaft großgruppentherapeutische Sitzung in Zeiten allgemeiner Verunsicherung.

Lachen musste ich, als der lutherische Oberbischof mit Gelehrtengewand auf der entrückten Kanzel stand und sich mit derzeit diskutierten Vokabeln der Politszenerie sehr korrekt positionierte. Unterdessen blickten die Honoratioren gläubig empor, insbesondere die in den ersten Reihen. Diesmal versteckte der Bischof sein Brustkreuz nicht. Auch nicht sein Kollege vom römisch-katholischen Ritus. Das fand ich echt gut.

https://youtu.be/QPN7JC0HT5Y?t=32m52s
      

Im Tachelesformat: Beachtlich war, wie der Ratsvorsitzende Heinrich Bedfort-Strohm den bayerischen CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer moralisch disste und ihm mit dem bösen Signalwort „Obergrenze“ das Christsein streitig machen wollte. Selbstverständlich wusste die Regie sofort um einen rechten Kameraschwenk. Kategorie: Geht gar nicht.

Echt jetzt, ich versteh die Welt ganz und gar nimmer mehr, da der Horsti doch mit seiner zweiten Frau beide Päpste besucht hat. Himmel Herrgott Sakra! 



Redundant derber Grobianismus -
Martin Luthers "Wider das Papstum zu Rom, vom Teufel gestiftet" (Wittenberg 1545)

"Als Antwort auf die anhaltenden Auseinandersetzungen um die Einberufung eines Konzils auf deutschem Boden, wie von den Protestanten gefordert, schrieb Luther 1545 nicht nur den Traktat Wider das Papstum zu Rom, vom Teufel gestiftet, sondern er initiierte auch eine Serie von Einblattdrucken, für die er die Texte schrieb und Lucas Cranach d. Ä. bzw. dessen Werkstatt beauftragte, die Holzschnitte für die Bilder herzustellen. Bilder und Texte sind so dem Grobianismus der Zeit verhaftet, dass sogar Luthers Freunde ihn schockiert fragten, ob es so derb sein müsse. Der Reformator äußerte sich kurz vor seinem Tod sehr dezidiert dazu: „Dies ist mein Testament“ und er blieb dabei, dass diese drastischen Bilder auch den Leseunkundigen den „wahren“ Charakter ..."  mehr   


Hier stehe ich und kann viel Rambo

Zurück zu Dr. Martinus und dem eigentlichen Anlass dieser Diskurse. Abseits der Frage „Wie hältst Du es denn mit Bauern und Juden?“ durfte ich gewahr werden, dass sich zur bürgerlichen Religion mit marginalen Veränderungen eine weitere bürgerliche Religion im alternativem Ritus hinzugesellte. Zum Outing des beinharten Ex-cathedra-Dogmatikers Luther kam es durch Erasmus von Rotterdam und dessen dialektische Punktlandung in „De libero arbitrio“ („Über den freien Willen“). Er hatte den Finger in die Wunde gelegt. Luthers Innovatorenmaske fällt mit seiner Antwortschrift „De servo arbitrio“ („Über den geknechteten Willen“):

Es ist notwendig und heilsam für den Christen, zu wissen, dass Gott nichts zufällig vorherweiß, sondern dass er alles mit unwandelbarem, ewigem und unfehlbarem Willen sowohl vorhersieht, sich vornimmt und ausführt. Durch diesen Donnerschlag wird der freie Wille zu Boden gestreckt und ganz und gar zermalmt.

Was der spätmittelalterliche Dr. Martinus Luther auch noch alles über den lieben Gott so wusste! Nun gut, ich sag mal 1:1, denn an Luthers deterministische Prädestination glaubt heute ohnehin kein Protestant mehr. Vielmehr ließ mich die fundamentalistische Art der Mitteilung seiner Assertiones aufhorchen:

Ich habe in diesem Buch nicht Ansichten ausgetauscht, sondern ich habe feste Behauptungen aufgestellt und stelle feste Behauptungen auf. Ich will auch keinem das Urteil überlassen, sondern rate allen, dass sie Gehorsam leisten.

Kurzum: Mit dem klerikalen Basta-Rambo Martin Luther möchte ich dann bitte doch nichts zu tun haben; wenn er mir via Johann Sebastian Bach begegnet, halte ich es eine Zeit lang aus. Ansonsten ist mir mein Erasmus von Rotterdam mit seinen eher vorsichtigen Fragen doch sehr viel lieber. 

Genug ist genug. Das musste jetzt nach einem Jahr Reformationsjubiläum einfach mal gesagt sein.

© Matthias Paulus Kleine – Nov. 2017 

                                                                                                                  

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