Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601
 

 


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Chapeau, sehr gut gebrüllt, Löwe von Münster! Und ansonsten?

Der Münsteraner Bischof Clemens August Kardinal Graf von Galen im Lichte des Philosophen Josef Pieper und anderer     

 Update August 2019        

Während meines Theologiestudiums wurde ich auf eine Vorlesung Josef Piepers im Münsteraner Fürstenberg-Haus aufmerksam. Freitagmittags hatte die Veranstaltung des längst emeritierten und betagten Herrn eine treue und gar nicht einmal geringe Zuhörerschaft gefunden. Ich erinnere mich, zwei Semester lang immer mal wieder dort gewesen zu sein. An die Themen vermag ich mich allerdings nicht mehr genau zu entsinnen; es mag wohl etwas im Spannungsfeld des Thomas von Aquin oder der Tugenden gewesen sein. Die Trefferquote dürfte bei Josef Pieper relativ hoch sein.

Was mir gleichwohl sehr gut im Gedächtnis blieb, waren die Worte Piepers anlässlich eines Vortragsabends, den ich aus entstandener Neugierde besuchte. Hier fiel das Stichwort Kardinal von Galen. Und so hörte ich - damals noch ganz zu meinem Erstaunen - Piepers Einschätzung, wie man sie hier unter dem ersten nachfolgenden YouTube-Link nachhören kann (Autobiographie "Noch wußte es niemand").

Deutschnationaler Kleriker im Zentrumsmilieu     

Also kurzum: Galen wurde damals laut Pieper als Berliner Pfarrer für "deutschnational" gehalten und als Münsteraner Pfarrer von St. Lamberti - insbesondere von Mitbrüdern - gar mit dem Begriff "Nazi" in Verbindung gebracht. Aufgrund seiner patriarchalischen Gesellschaftsvorstellungen sei Galen "wenngleich nur für kurze Zeit" für die nationalsozialistische Ideologie anfällig gewesen.

Es ist bekannt, dass das sehr homogene katholische Zentrumsmilieu den Nationalsozialisten insbesondere nördlich der Mainlinie die schlechtesten Wahlergebnisse bescherte. Das war auch das Pfund, mit dem der stimmgewaltige und zugleich rhetorisch doch hölzern wirkende Bischof in Verbindung mit seiner ihm eigenen Insistenz wuchern konnte: Die Bevölkerung seiner Diözese definierte sich als letztlich subversiv renitent gegenüber den Machthabern des angeblich tausendjährigen Reiches. Ich habe eine Quintessenz aus den Kirchengeschichtsvorlesungen von Arnold Angenendt eindrücklich in Erinnerung: Hitler ist gegen die Kirche. Und das ist nicht richtig. Dieses war weithin katholischer consensus omnium.

Vier Phasen des Galenschen Anti-Nazi-Furors   

Der Furor des Bischofs gegenüber den Nationalsozialisten lässt sich in vier Phasen einteilen:
  • Vehementes Eintreten gegen Alfred Rosenberg und seine Schrift "Mythus des 20. Jahrhunderts" (1934)  
  • Sog. Kreuzkampf (1936) - Galen rechnete ab jetzt mit seiner Verhaftung und traf dafür Vorbereitungen  
  • Phase der Einsprüche mit Briefen ohne Öffentlichkeit, auf die staatlicherseits zunehmend weniger reagiert wurde  
  • Sog. Klostersturm als Anlass für seine drei weltweit bekannten Predigten (1941), die dritte stellte die schärfste dar (Thema Euthanasie)   
Solidarisches Zusammenspiel 

Ich bin Josef Pieper dankbar für die Korrektur einer hagiographischen Simplifizierung. Feststellen muss ich aber wie er, dass von Galen den Mumm hatte, getreu seinem ab 1933 dokumentierten Motto "Nec laudibus nec timore" das Wort zu erheben. Wie oft erlebe ich Mitmenschen, die ihre ansonsten zur Schau getragenen Haltungen mit nahezu lustvoller Subordination über Bord werfen, obwohl sie de facto rein gar nichts zu verlieren hätten.

Den zahlreichen und weithin unbekannten Gläubigen, die zu jener Zeit - so z.B. 1936 im sog. Kreuzkampf - ihre Existenz gefährdeten, gilt mein vollumfänglicher Respekt. Das solidarische Zusammenspiel von Gläubigen und Bischof macht das Besondere des Falles Clemens August von Galen aus. Der Münsteraner Bischof unterstützte seine Diözesanen deutlich und im Gegensatz zu manchen seiner Mitbrüder im Amte außerordentlich offensiv. Der spätere Paderborner Kollege Lorenz Jaeger ist leider ein instruktives Beispiel dafür, wie man als Hirte seine Schafe im Stich lassen kann.

Ambivalenz des Mutes: "Märtyrer der Dummheit"?

Kritisieren mag man, dass von Galen vornehmlich für die kirchlichen Belange mutig eingestanden haben soll. Doch spätestens mit dem vehementen Eintreten gegen die sog. Euthanasie verlässt er diesen Binnenraum. Es darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass von Galen gute Kontakte zu den Juden Münsters besaß: "Nach der Pogromnacht 1938 bietet von Galen der jüdischen Gemeinde an, öffentlich für sie einzutreten. Dazu kommt es allerdings nicht, weil die jüdische Seite aufgrund einer solchen Stellungnahme weitere Repressalien befürchtet."   


Was ist tapfer, was ist klug? Klug wäre es im Nachhinein gewesen, wenn sich mehr Menschen als tapfer erwiesen hätten. Die beiden Kardinaltugenden sind hier aber wohl austauschbar. Es erscheint schwierig, der Situation ex post gerecht werden zu können. Die Fragestellung stellt das große Dilemma der Kirchen während des Nationalssozialismus dar und wurde damals offensichtlich kontrovers wahrgenommen: "Es hat die KZ-Priester tief gekränkt, daß Nuntius Cesare Orsenigo und manche deutsche Bischöfe sie als „Martyrer der Dummheit“ bezeichnet haben. Jene waren der Meinung, manch einer wäre nicht ins KZ gekommen, wenn er den Mund gehalten hätte."

Zu guter Letzt: ein Von-Galen-Gedankenspiel

Ich mag noch eine weitere Hätte-hätte-Fahrradkette-Frage stellen: Was wäre geschehen, wenn die Deutsche Bischofskonferenz zu 50 Prozent Männer vom Schlage des Clemens August von Galen besessen hätte?

Damit bin ich ganz nah bei Josef Pieper, denn er stellt ebenso ein Gedankenspiel an: Er behauptet, dass der plötzliche Tod des Kardinals einen profunden Skandal mit der britischen Militärregierung verhinderte (4. Link: Galen und die Besatzungsmächte). Dafür spräche, dass sich von Galen in seiner westfälischen Insistenz-Prädisposition stets treu blieb, so wie er auch seine Blinddarmbeschwerden bis zuletzt nicht wahrhaben wollte und dem Rat seiner engsten Umgebung erst nachgab, als es längst zu spät war.

Ich wünsche ein fruchtbares kognitives Ungleichgewicht und empfehle wärmstens die nachfolgenden Links.  (mpk - 26.08.2019)  

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Josef Piepers Einlassungen zu Bischof/Kardinal von Galen  

https://youtu.be/55qrTBIzuk8?t=459   Galen als Pfarrer zu St. Lamberti ...  

https://youtu.be/_5TRrchPLuM?t=399   Galen gratuliert zur Hochzeit ...     

https://youtu.be/czagNLBYVfM?t=1906   Galen als Kunde und Schauspieler ...  

https://youtu.be/7UuCA452hkw?t=293   Galen und die Besatzungsmächte ... 

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Rudolf Morsey - "Da muß der Heilige Geist aber viel helfen" - Ein differenziertes Lebensbild des Clemens August Graf von Galen

 
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Audiatur et altera pars, und das sehr detailreich - Joachim Kuropka      

https://youtu.be/70AXzx_L_0c?t=1404   

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MuTh-Empfehlung: Josef Pieper im O-Ton 


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Peter Bürger über die bischöfliche Situation 1941 in Münster 


Im Sommer 1941 hält Bischof Galen seine bekannten Münsteraner Predigten gegen die Euthanasie-Verbrechen der Nationalsozialisten. Der weitaus größte Teil der betroffenen Behindertenheime befindet sich auf dem Terrain des Nachbarbistums Paderborn. Im Herbst desselben Jahres leistet der neue Paderborner Erzbischof Lorenz Jäger seinen Treueeid beim Oberpräsidenten in Münster, mit dem er Galen in den Rücken fällt. Jäger ergänzt den seit dem Konkordat verpflichtenden Eid freiwillig um eine verstörend pathetische Ergebenheitsbekundung zum nationalsozialistischen Staat. 

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Dr. Hans-Ludwig Warnecke - Das letzte Stündlein des Kardinals  


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Bildnachweis: 1. Josef Pieper/YouTube-Video - Josef Pieper 07 ‚Noch wußte es niemand‘/Dieter Hattrup liest; 2. Bischof von Galen/Domkapitular Gustav Albers († 1957) - Bildersammlung des Bistumsarchivs Münster, des Erbnehmers der Urheberrechte, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1684057; 3. Peter Bürger: Lorenz Jaeger und die "Stufen der Kollaboration", Düsseldorf 2015

                                                                                                                         

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