Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601 

                                                                                                                    

                                                                                                               

Resilienz und Auferweckung? Steh auf, bewege dich! Mitten im Tag ...    

Im Wintersemester 1987/88 besuchte ich an der Universität Bamberg ein sogenanntes liturgiewissenschaftliches Oberseminar. An das Thema kann ich mich nicht mehr ganz genau erinnern, es hatte jedoch einen sehr starken musikalischen Aspekt. Wie könnte es auch anders sein. Gut in Erinnerung habe ich allerdings, dass an einem Abend Alois Albrecht anwesend war und von seiner Textdichterarbeit erzählte. Diese Begegnung hat mich ebenso nachhaltig beeindruckt wie der reguläre schulische Musikunterricht bei Ludger Edelkötter in Sexta, Quinta und Quarta. Zwar bin ich durch diese Erlebnisse nicht zum unmittelbaren Verfechter des Neuen Geistlichen Liedes geworden, doch zeige ich mich zuweilen aufgeschlossen – mit aller kritischen Distanz. Erst relativ spät habe ich in Erfahrung bringen können, dass dieses Genre in vielen philiströs wirkenden Kirchenmusikerkreisen heftige und an Pawlow erinnernde Reflexe evoziert.                                                                                                                         Zurück zu Alois Albrecht: Damals konnte ich noch nicht wissen, dass ich 20 Jahre später meinem Chor einen vierstimmigen Satz zu seinem Liedtext „Manchmal feiern wir mitten im Tag“ nach der Melodie von Peter Janssens anempfehlen würde. Das war nicht nur eine Herausforderung hinsichtlich der Synkopen des Liedsatzes, nein, die Bedeutung der Textstelle „Stunden werden eingeschmolzen“ war ein wiederholter Fixpunkt der Hermeneutik. Wie bitte? Gute Erfahrungen werden verdichtet und konserviert, damit ich in Zeiten des Mangels und der Sehnsucht davon zehren kann? Das würde durchaus in das Bild des sog. Zehrpfennigs passen. Wie auch immer: Wir haben uns darauf geeinigt, dass diese Worte polyvalent sind. 

Ein Perspektivwechsel: Eine Leserin dieses Online-Journals gab unlängst zum Besten, dass ihrer bitteren Erfahrung nach in ihrer Gemeinde „eh nur alles krank abläuft“. Gewiss ist manchem kirchlichen und zugleich auch kirchenmusikalischen Betrieb Verlogenheit nicht abzusprechen. Hin und wieder könnte man auf den Gedanken kommen, dass christentümliche Vorzeige-Musica-Sacra und ebensolche Seelsorge einen spirituellen Waffenschein bräuchte. Wie dem auch sei, es wäre ratsam, sich nicht in jeden Abgrund zu stürzen, in den man hineinblickt. Man kann der Dame nur zurufen: Es ist nicht überall Jesus drin, wo Jesus drauf steht! Gehe dahin, wo du mehr Jesus von Nazareth vorfinden kannst! Spüre Wasseradern auf, die zur Quelle führen! Teste Deine Resilienz! Steh auf, bewege dich!      

Mitten im Tag ...

Manchmal feiern wir wirklich mitten im Tag - und bemerken es zunächst gar nicht. Die hier angesprochenen Erfahrungen können trösten und heilen:  

"Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung,
Stunden werden eingeschmolzen und ein Glück ist da.
Manchmal feiern wir mitten im Wort ein Fest der Auferstehung,
Sätze werden aufgebrochen und ein Lied ist da.
Manchmal feiern wir mitten im Streit ein Fest der Auferstehung,
Waffen werden umgeschmiedet und ein Friede ist da.
Manchmal feiern wir mitten im Tun ein Fest der Auferstehung,
Sperren werden übersprungen und ein Geist ist da."  

Sicherlich ist es ratsam, sich selbst zunehmend für das zu sensibilisieren, was einem täglich Gehaltvolles vor die Füße fällt, ohne es der vermeintlichen alleinigen Verantwortung eines anderen oder einer Großgruppe zu überantworten. Gott ist größer als alle Institutionen. Er braucht weniger Vermittlung als gemeinhin gedacht. Und manchmal hat er es nicht nötig, beim Namen genannt zu werden.  

Das Leben hat die größere Kraft

Bedauerlich scheint indes der Umstand zu sein, dass das Spannungsfeld "Ostern und Auferweckung" kirchlicherseits zu statisch transportiert wird; die apologetischen und zugleich widersprüchlichen „Das-Grab-ist-leer-Bilder“ hielten zu sehr in Kopf und Herz Einzug. Die Osterlieder vieler Diözesananhänge sprechen Bände und sprechen nicht ohne Grund kaum noch Suchende auf ihrem Glaubensweg an.

Mir persönlich sagen die dynamischen und anstiftenden Begegnungsschilderungen mit dem auferweckten Jesus viel mehr. Sie haben einen dichteren Bezug zum Alltag. Denn „Mitten im Tag“ steht dann vielleicht plötzlich die Erfahrung, dass ein Schüler nicht wie alle anderen in der Klasse angesichts der letzten Stunde vor den Ferien „den Film gucken“ will, sondern darum bittet, "seine Geschichte" aus der vorherigen Stunde weiterschreiben zu dürfen. Nach heftigen Gewalterfahrungen im Elternhaus hatte er an einem anderen besseren Ort viel Neues kennen lernen dürfen und müssen. Seine Erzählung, die einen langen Traum schildert, endet mit dem wiederholten Satz: „Ich habe keine Angst mehr!“ Er ist aufgestanden und hat sich nunmehr auf den Weg seiner eigenen Befreiung gemacht. 

Und hinter allen jenen und anderen Eindrücken steckt für mich die hoffende, flehende und zugleich vertrauende Gewissheit: Ich kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Karfreitag und Ostern gehören zusammen.  mehr      

Konkret: Vielleicht können diese Aspekte förderlich sein ...  

1. Setze Dich nicht freiwillig krankmachenden Situationen aus! Dein Herz hat in der Regel viel schneller und sicherer entschieden, als es der Verstand zugeben mag! Das schmälert zumindest das Volumen des Krankmachenden. Gewiss: Über so manche Situation verfügst Du leider nicht mit Wahlfreiheit, Du hast sie nicht in der Hand. Dennoch: Haben die schwarzen Szenarien nicht vielleicht doch etwas Helles am Ende oder etwas verborgenes Lichtes, das man erahnen kann? Auch nicht im Nachhinein? Aber das mag als Durchhalteparole missinterpretiert werden. Nun gut. 

2. Sensibilisiere Deine Wahrnehmung für Voraussetzungen eigener und fremder Erfahrungszusammenhänge, in denen Überwindungsvermögen generiert wurde - und das mitten im Tag! Selbst eine homöopathische Dosis an Erfahrung kann man zu erspüren lernen. Die beobachtete Blaumeise, die jahraus jahrein an irgendeinem Strauch nach Nahrhaftem sucht, die ohne jegliche Lebensversicherungen oder Bildungsabschlüsse ihr geschenktes Dasein gestaltet, mag einen eigenen und auch faszinierenden Kosmos der eigenen erfahrbaren Möglichkeiten illustrieren.

3. Nimm die nachhaltige Hilfe des kleinen und unscheinbar Prophetischen abseits jeglichen Zivilisationslärmes mit selbst produzierter Energie wahr! Mitten im Tag. Das Staubsaugen des Wohnzimmers kann ebenso Kontemplation sein, wie das Gespräch mit einem Menschen Deines Vertrauens, der vielleicht auch zugleich unvoreingenommen ist, auf neu zu entdeckende (Frei-)Räume verweist. Das funktioniert mit und ohne Psalmwort. Manchmal reicht - à la Leonardo Boff - das Sakrament der Kaffeetasse. Angesagt ist existenzielle Erfahrung. 

4. Übrigens ist Johann Sebastian Bach ein leuchtendes Beispiel des traumatisierten und zugleich resilienten Vollwaisen, Witwers und trauernden Vaters, der mittlerweile über Jahrhunderte mit Hilfe seiner Arbeitsergebnisse anderen Traumatisierten Trost zu spenden vermag. 

Die Lektüre der Darstellung Luise Reddemanns in "Sinn und Sinnlichkeit bei J.S. Bach" kann nur wärmstens empfohlen werden.  (mpk)       

(Fotos: Baum und Grabstein an der evangelisch-lutherischen Kirche zu Hille bei Minden)                     

                                                                                                                       

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