Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche
ISSN 2509-7601
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"Orgelbegleitung" oder akustisches Dirigieren?
Exzerpt des Grundlagenartikels "Kampf der Orgel-"Begleitung"" von Peter Planyavsky
Die sogenannte Liedbegleitung macht einen Großteil des Orgeldienstes aus. Das wird weithin verkannt. Selbst professionelle Kirchenmusiker tun sich zuweilen recht schwer, ein Lied metrisch korrekt darzustellen und die Gemeinde diesbezüglich zu führen. Demgegenüber vermögen sie häufig Orgelwerke aufzuführen, die einen erheblichen Schwierigkeitsgrad besitzen. Wie sollte es da dem überwiegenden Teil der Orgelspielenden anders gehen, der sich Woche für Woche "nur nebenbei" abmüht?
Vielerorts wird immer wieder diskutiert, wie denn das alles in irgendeiner akzeptablen Weise zu bewerkstelligen wäre. So scheint jeder Ratschlag der reflektierten Art zielführend zu sein, da die Not in der Regel recht groß ist. Ein anonymer Kirchenmusiker in einem Onlineforum brachte zu diesem Thema eine sehr virulente Problematik auf den Punkt, die leider mehr als verbreitet ist: "Hierzu ergänze ich eine der vielleicht größten Unsitten, die darin besteht, beim ersten Akkord des Orgelbegleitsatzes auf das Einsetzen der Gemeinde zu warten, statt einen deutlichen Puls vorzugeben, der auch im weiteren Verlauf, unterstützt durch klare Artikulation, Phrasierung, Zäsuren/Atempausen und eine wohlüberlegte Tempowahl und Registrierung, ein gutes Mitsingen ermöglicht."
Vergessen wir nicht: Jeder, der an der Orgel sitzt, ist Konzelebrant. Jede Strophe ist Gottesdienst. Laudetur Jesus Christus. (mpk)
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"Da der Name Peter Planyavsky in diesem Zusammenhang erwähnt wurde, möchte ich dessen vorzüglichen (und leider unverändert aktuellen) Beitrag Kampf der Orgel-"Begleitung" (Singende Kirche 1988, Jahrgang 35, Heft 1, S. 10-14) allen Kolleginnen und Kollegen zur intensiven Lektüre und praktischen Beschäftigung empfehlen. Darin wird ein Problembereich angesprochen und diskutiert, der in der organistischen Ausbildung für den Haupt- oder Nebenberuf überwiegend vernachlässigt wird. Hier nur die Zusammenfassung der wichtigsten Thesen aus Planyavskys Artikel (meines Wissens ist dieser Beitrag seit seiner Veröffentlichung vor mittlerweile 20 Jahren bedauerlicherweise in keiner anderen Publikation abgedruckt worden):
* "BEGLEITEN des Gemeindegesanges ist nicht Begleiten, sondern Führen des Gemeindegesanges." (S. 10)
* "Ein BEGLEITSATZ ist ein eigens zum Zweck der Gemeindeführung angefertigter oder hierfür adaptierter Satz, der zum Teil nach anderen Gesichtspunkten erstellt wird als z. B. ein Chor- oder Bläsersatz; er wird auch anders gespielt." (S. 10)
* "Ein Begleitsatz ist auch ein ORGELSTÜCK wie jedes andere: man muss es, je nach Gewandtheit und Erfahrung, üben (auch wenn man die Melodie vielleicht "im Ohr hat", was ja nur bedeutet, dass man eine von vier Stimmen, also 25 Prozent des Stückes, annähernd beherrscht!), und es bedarf der Artikulation wie jedes andere Stück." (S. 10)
* "Der Begleitsatz geht jedenfalls in der ARTIKULATION, im Idealfall auch in der Harmonik, manchmal sogar in der Stimmenanzahl, auf betonte und unbetonte Taktteile, auf betonte und unbetonte Textsilben, auf schwere und leichte Endungen ein." (S. 10)
* "Mittels der Häufigkeit der HARMONIEWECHSEL steuert ein guter Begleitsatz das Tempo des Liedes. Viele Harmoniewechsel bedeuten viele Akzente und verlangsamen, wenige Harmoniewechsel machen den Satz leicht und suggerieren schnelleres Tempo." (S. 10)
* "Mittels der Häufigkeit der AKKORDWECHSEL kann die Gemeinde - besonders am Beginn des Liedes - "mitgenommen" werden." (S. 10)
* "Eines der wichtigsten Elemente eines guten Begleitsatzes ist schon vor seinem eigentlichen Beginn zu finden: die RHYTHMISCHE VERKLAMMERUNG von Vorspiel und Satz, die vor allem aus einem deutlichen Ritardando am Schluss des Vorspiels (es kündet das endgültige Nahen des Liedanfanges an) und aus einer genau bemessenen Pause (sie suggeriert Atemholen) besteht." (S. 10)
* "Die LAUTSTÄRKE der Begleitung soll nicht bloß zum Gemeindegesang "passen", sondern der Begleitsatz (d. h. jede Stimme, nicht nur ungefähr die Harmonie) soll von jedem Singenden stets deutlich gehört werden können." (S. 10)
* "Vor jedem betonten Taktteil und/oder vor jeder betonten Silbe werden alle (!) Stimmen (auch und vor allem der Bass) deutlich abgesetzt." (S. 10)
* "Auf jeden unbetonten Taktteil (auf die unbetonte Silbe) hin wird differenziert angebunden - d.h. im Bass etwas weniger, im Sopran praktisch völlig - oder nur sehr unmerklich getrennt." (S. 10)
* "Gleiche Noten werden niemals "automatisch" liegen gelassen, sondern sind denselben Gesetzen der akzentsteuernden Trennung oder Verbindung unterworfen." (S. 10f.)
* ""Probleme" sollen im Vorspiel nicht nur zufällig vorkommen, sondern mehrmals angeschnitten werden." (S. 14)
* "Tatsächlich gibt es Fälle, wo bei ein und demselben Lied je nach Tempo die eine oder andere Art der Pausenbewältigung möglich ist: bei langsamem Tempo die Verkürzung des Notenwertes ("Schnappatem"), bei schnellem Tempo wird die Note vor der Pause ausgehalten und dadurch eine Pause im Wert eines zusätzlichen Notenwertes suggeriert [...] Die andere Methode - das Einfügen einer Pause - wird man vielleicht bei einer besonders trägen Gemeinde oder in einem überakustischen Raum wählen. Das Tempo ist ja überhaupt bis zu einem gewissen Grad eine Funktion der Raumakustik; dies gilt eben nicht nur bei Literaturstücken, sondern auch beim Gemeindegesang und seiner Begleitung." (S. 12)
* "Besonders wichtig (und lehrreich) sind jene Fälle, wo in verschiedenen Strophen unterschiedliche Akzentverhältnisse gegeben sind; das muss sich selbstverständlich auf die Artikulation auswirken!" (S. 13)
* "Die Scheu, die Hände von den Tasten zu nehmen, abzusetzen, zwischen Vorspiel und Lied wirklich zu warten, bis "es" sein "muss", ist weit verbreitet. Ebenso weitverbreitet ist die Unsitte, mit gut gemeinten Zusatzharmonien oder ausfüllenden Schnörkseln, Durchgängen und Nebennoten die Leitfunktion der Orgelbegleitung zu beeinträchtigen. Gutes Begleiten ist zur Hälfte psychologische Arbeit, für die ein einwandfreier Satz nur die Grundvoraussetzung ist - was umgekehrt heisst, dass man über das fehlerfreie Beherrschen der Noten gar nicht erst sprechen sollte. Gutes Begleiten erfordert viel mehr Aufwand, als im allgemeinen dafür getrieben wird. Wem das zu übertrieben klingt, überlege, wieviel Prozent des Organistendienstes das "Begleiten" (inklusive Vorspiele usw.) ausmacht." (S. 14)."
(Quelle: aus einem gelöschten Forenbeitrag)