Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601



Peter Planyavsky oder "Wenn ein Organist Dom-kapituliert – ein Bericht aus der gotischen Sonderzone" 

              

Das kompakte fünfminütige Interview mit dem ehemaligen Organisten des Wiener Stephansdomes Prof. Peter Planyavsky - u.a. Autor des Buches "Gerettet vom Stephansdom" - wurde anlässlich eines Konzertes des Internationalen Orgelfestivals Westfalen-Lippe am 7. Juni 2008 in Rheda-Wiedenbrück aufgezeichnet.                

  Kompakt-Interview mit Peter Planyavsky  (5,12 MB) 

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Der Kirchenmusiker als Glaubenshelfer - eine Leseprobe aus "Gerettet vom Stephansdom":

"Kann man denn als Agnostiker Kirchenmusiker sein? Die Standardantwort „Natürlich nicht!“ kommt immer rasch und mit Emphase. Denn, so wird argumentiert, wer nicht an einen menschgewordenen Gottessohn glaubt, wird ein „Et incarnatus est“ nicht „richtig“ dirigieren können. Oder in der verschärften Fassung: „richtig“ schon, aber „nicht so fromm“. Meine komplexe Antwort beginnt bösartig simpel: Man muß auch nicht an die Existenz von Hexen glauben, um Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ gültig aufzuführen; aber man muß wissen, was ein Märchen ist, was eine Hexe ist und was mit der Story transportiert werden soll; vor allem aber muß man erkennen, was sich Humperdinck gedacht hat, als er den Text so und nicht anders vertont hat. Das mag sogar einschließen, daß es einen „gruselt“ — nicht aber notwendigerweise den Glauben an die Existenz von Hexen. Meine Diskussionspartner erwidern dann meistens: „Das ist etwas ganz anderes!“ Was daran so ganz anders sein soll, konnte mir ohne leicht zu entlarvende Zirkelschlüsse allerdings bis jetzt niemand beweisen.

Ein Dreiklang kann richtig oder falsch sein, aber nicht fromm oder unfromm. Das Tempo eines Agnus Dei kann nicht gläubig oder ungläubig sein, sondern musikalisch richtig oder nicht adäquat; hier gibt es einige der Komposition innewohnende Kriterien, die mit dem Inhalt des Textes nichts zu tun haben (und die so mancher fromme Dirigent bisweilen nicht beachtet) — etwa die Dehnbarkeit einer Phrase, oder die höchst prosaische Frage, ob die Solistin ohne ständiges Luftschnappen auskommt (wenn nicht, dann ist das Tempo zu langsam — aus diesem Grund und nicht, weil der Dirigent besonders fromm ist). Weiters gibt es musikalische Symbole, die man verstehen oder ignorieren kann (etwa wenn bei der Stelle „... und ist Mensch geworden“ schon ein Motiv aus dem darauffolgenden „Et resurrexit“ zitiert wird). Hier geht es um Informationen aus dem Notentext und selbstverständlich auch um Zugänge, die sich aus der Kenntnis des kulturellen und spirituellen Zusammenhanges erschließen. Haydn hat seine Kyries fundamental anders gestaltet als etwa Bruckner. Aber wer das untersucht, muß nicht selbst fromm sein, sondern muß bloß die Frömmigkeit von Haydn verstehen und erkennen, wie sie sich vom Glaubenszugang Bruckners unterscheidet. Und wer das demütige, unruhige Kyrie von Bruckner dirigiert, soll in diesem Moment nicht demütig und unruhig sein, sondern mit seinem musikalischen Handwerkszeug und seinem ganzen geballten Intellekt alles tun, um dem Zuhörer den Affekt „demütig und unruhig“ zu vermitteln.

Ein Schauspieler hat nicht die Aufgabe, überrascht zu sein, wenn er im 4. Akt plötzlich aus dem Hinterhalt erstochen wird; seine Aufgabe ist es, den Zuschauer glauben zu lassen, er sei überrascht — auch an diesem 19. Abend nach der Premiere. Wie treffend, daß hier zufällig das Wort glauben vorkommt ...

Und so habe ich mich auch immer definiert: als jemand, der anderen dazu verhilft, ihren Glauben stärker zu empfinden, eine Botschaft deutlicher zu vernehmen, ein Lied leichter mitzusingen, einen Gottesdienst froher mitzufeiern.

Die Kehrseite der Medaille ist, daß ich eine Art Sonn- und Feiertags-Antipathie entwickelt habe, eine umfassende „Weihevolle-Stimmung-Neurose “‚ die ich erst jetzt, nach dem Ende meiner Tätigkeit am Dom, langsam abbauen kann. Am deutlichsten wird das zu Weihnachten, an dem ich längst jede Freude verloren habe; das hängt nicht nur mit der Arbeitsdichte zwischen 24. und 26. Dezember zusammen, sondern mit dem vierwöchigen Bombardement in allen Begrüßungen, Predigten und Verabschiedungen, was sich denn da „bald“ oder „demnächst“ oder „in wenigen Stunden“ an glockenklingender und engelsingender Verzückung einstellen würde. Man glaubt übrigens gar nicht, wieviele gedankenlose Mitmenschen, die genau wußten, welchen Beruf ich hatte, mir am 24. Dezember „schöne Feiertage“ gewünscht haben. Ein ähnlicher Fall war auch der Domprediger Zimmermann, der mir jeden Freitag um 17 Uhr ein schönes Wochenende wünschte."

zum Buchverlag: www.vabene.at/collect/dokument/188-9.htm    

Peter Planyavsky - Katholische Kirchenmusik. Praxis und liturgische Hintergründe: Kirchenmusik muss aus einem riesigen Schatz Passendes auswählen: für solche, die sich auskennen mit Kyrie und Benedictus, aber auch für Menschen, die einfach etwas Schönes hören oder mitsingen wollen. Dieses Buch bietet einen Überblick über alle Formen, Bausteine und Typen von Kirchenmusik für die Heilige Messe, aber auch für Stundengebet, Andachten oder Totengedenken, wobei es ...   mehr                                                ++++++++++++++++++++  

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Mit besonderer Empfehlung:

Peter Planyavsky im WWW                                                            „Zuerst habe ich ein bißchen im www herumgestöbert. Am besten gefiel mir die Website einer Nagetierzucht in Bulgarien. Ich gedachte zuerst, diese Homepage einfach zu übernehmen und immer statt „Ratte“ Orgelstück und anstelle von „Tanzmaus“ Orgelstück einzusetzen. Aber so eine Tanzmaus ist ja viel kürzer als ein Orgelstück, und deshalb kam ich davon ab. Außerdem sah mir der Züchter nicht sonderlich ähnlich. Ich fand so manche Homepage, auf der jeder Arztbesuch des Inhabers getreulich mitgeteilt wurde. So ein Schwachsinn! Jeder weiß, daß man nur jeden zweiten Arztbesuch veröffentlicht, außer in einem Schaltjahr.“  

"Gerettet vom Stephansdom" - ein Kommentar:  

"Von außen betrachtet scheint er (Peter Planyavsky, Anm. d. Red.) den üblen Geschmack des Scheiterns ein einziges Mal wirklich in seiner ganzen Bitterkeit gekostet zu haben: Auch wenn man ihn wohl immer als den Domorganisten von St. Stephan bezeichnen wird – keine andere Persönlichkeit von solchem künstlerischen Rang hat vor ihm je am Wiener Wahrzeichen gewirkt, und es wird wohl niemandem leicht fallen, in seine Fußstapfen zu treten –, so kann man nicht übersehen, dass gerade hier die beglückenden Facetten oft dem starren Betriebssystem namens „Kirche“ zum Opfer fallen mussten. Was über Jahrzehnte zugunsten des künstlerischen Gesamtergebnisses erduldet wurde, fand schließlich mit Erscheinen eines besonderes ehrgeizigen Assistenten einen Punkt, an dem man nicht mehr zusehen konnte, ohne dadurch mitschuldig an höchst fragwürdigen Entwicklungen zu werden. Und weil der dem Herrscher schön Redende oft mehr Gehör findet, als jener, der vor dem Verhängnisvollen warnt, blieb Planyavsky nach vielen Versuchen, die Dinge zum vermutlich Besseren zu wenden, nur der Rückzug. Über das Gewesene in der Folge den Mantel des Schweigens zu breiten, wäre Planyavskys Sache nicht, und so erschien kürzlich eine „Aufarbeitung“ in Buchform: „Gerettet vom Stephansdom“ heißt das exzellent geschriebene Werk (Edition VA bENE), das dem Leser sowohl den Betrieb des kirchlichen Musizierens anschaulich vor Augen führt, als auch zeigt, wie Wenige einem Ganzen unermesslich schaden können. Plany rechnet nicht ab, er beschreibt. Manche der Beschriebenen werden ihm wohl sogar zustimmen müssen, dass er eigentlich nur „die Wahrheit“ aufzeigt. Dass selbige im kirchlichen Umfeld eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, steht auf einem anderen Blatt. ...“  
                                                                                                                               (aus: Doblinger Verlagsnachrichten, klang:punkte sound:files, 24 Frühj. 07, S. 11)


                                                                                                                       

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