Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601






A tre voci -
Konstruktives zum Thema Chorsterben 

Zusammenfassung eines Beitrages von Reiner Schuhenn: Tipps für den chorleiterischen Alltag (7). Muss es immer vierstimmig sein? – Ein Plädoyer für eine vielseitige Werkauswahl, in: MUSICA SACRA 1/2018, S. 34

Prof. Reiner Schuhenn beginnt seine Betrachtung zum dreistimmigen Gesang mit einer sozialpsychologischen Sichtung. Dazu nimmt er die Gemütslage einer von Veränderungen betroffenen Gesangsgruppe in den Fokus: „Der Chor versteht das »Nicht-vierstimmig-Singen« als Zurückstufung, als Demotivation, als Angriff auf das eigene (chorische) Selbstverständnis, ja fast schon als Demütigung.“

Schuhenn empfindet diese Reaktion als unberechtigt und belegt, dass die Faktur des Chorsatzes a tre voci eine ganz eigene und oftmals unbekannte Herausforderung zeitigt: „Ein guter dreistimmiger Satz (Sopran, Alt, Männerstimme) kann enorm anspruchsvoll sein, oftmals sogar schwerer als ein »normaler« vierstimmiger Satz: Für die Darstellung harmonischer Farbigkeit muss die eine fehlende Männerstimme dadurch kompensiert werden, dass die verbleibende Männerstimme oft sowohl in einer sonoren Basslage agiert als auch direkt danach in feiner Tenorlage – dieses flexible Springen macht die Männerstimme oft anspruchsvoll. Und wenn die Männerstimme gerade in tiefer Lage (gewissermaßen als »echter Bass« agiert, dann muss oftmals der Alt in die Tenorlage springen. Dies bedeutet, dass auch die Altstimme einen enormen Ambitus bewältigen muss, was die Anforderungen an den Stimmumfang ebenso erhöht wie an die Bewältigungsfähigkeit großer Intervallsprünge in rascher Folge […]. All diese Phänomene machen einen dreistimmigen Satz oft richtig anspruchsvoll.“

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Männerschwund? Gedanken zum dreistimmig singenden Kirchenchor inklusive Notentipps  mehr 

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Sodann kommt der Autor auf den Chorklang zu sprechen: „Die Wirkung auf den Hörer aber ist ebenso wenig zu unterschätzen: Im dreistimmigen Satz klingt der Chor anders, schlanker, durchsichtiger. […] Die Disproportion zwischen oftmals gut besetzten Frauenstimmen und »etwas mager besetzten« Männerstimmen ist auf einmal aufgehoben: Die vereinigten Männerstimmen bieten den Frauen plötzlich ein ausgewogenes Gegengewicht – und der Chor klingt, obwohl eine Stimme »fehlt«, besser, abgemischter, ausgewogener.“

Des Weiteren versteht Schuhenn die Zwei- und Dreistimmigkeit als „probates“ und „klangschönes“ Mittel, unterbesetzte oder überalterte Chöre weiterleben zu lassen. Ein neu einstudierter und korrekt vorgetragener dreistimmiger Satz sei besser als ein unterbesetzt dargebotener vierstimmiger Satz. Für nach wie vor gut besetzte Chöre, die nur die Vierstimmigkeit kennen, wären fünf- bis achtstimmige Sätze ebenso eine kontrastreiche Alternative wie zwei- bis dreistimmige Sätze. Ständige Vierstimmigkeit sei auf Dauer ermüdend.

Reiner Schuhenn schließt seine Betrachtung mit folgendem Wunsch: „Nun fehlt nur noch die Einsicht, dass dreistimmiges Singen keinen Rückschritt bedeutet, sondern eine Bereicherung des Repertoires, ein großartiges Training für den Chor – und eine willkommene Abwechslung für den Hörer.“ (© Matthias Paulus Kleine – Febr. 2018)


                                                                                                                         

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