Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601

                                                                                       

 

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Freie Orgelwerke in Sammelbänden/Anthologien:

Ein paar Takte vorweg:

Diese Literaturliste entstand im Kern vor mehr als 30 Jahren für meine Schüler und C-Kursler. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Denn es handelt sich bei den vorgestellten Bänden und Einzelstücken um den Inhalt meines privaten Fundus’, dessen Umfang räumliche und finanzielle Grenzen gesetzt sind. Zudem ist mein Urteil zwangsläufig subjektiv. Natürlich spiele ich nur Musik, die mir persönlich gefällt. Allerdings fließen vier Jahrzehnte praktischer Erfahrung in die Bewertung ein.

Es geht mir also keineswegs darum, „objektive“ Urteile zu fällen, sondern vor allem den nebenamtlichen KollegInnen meine subjektiven Eindrücke und Erfahrungen zugänglich zu machen. Deshalb habe ich auf die Besprechung ausgesprochener Virtuosen- und Konzertliteratur verzichtet. Die erste und wichtigste Meßlatte ist die gottesdienstliche Brauchbarkeit – konfessionsbedingt eher die des protestantischen als des katholischen Gottesdienstes. (Aber es soll ja kath. Organisten geben, die einfach „evangelisch“ spielen, ohne es ihrem Pfarrer zu verraten.)

Zudem gehe ich davon aus, dass jeder, der sich eingehender mit dem Orgelspiel befasst, die gängige Standardliteratur besitzt: Bachs Werk komplett oder in Auszügen, Werke des norddt. Barock (Buxtehude, Böhm, Bruhns, Lübeck) – wer sie nicht hat, dem empfehle ich die drucktechnisch hervorragenden praktischen Ausgaben der jeweiligen Gesamtwerke von Breitkopf.                                                        
Wenn ich gelegentlich ins Blödeln verfalle oder einen Schwank aus meiner zarten Jugend einflechte, mögen mir es all diejenigen die nachsehen, die 365 Tage im Jahr die erdrückende Last der hehren künstlerischen Verantwortung auf ihren gramgebeugten Schultern über diesen Planeten schleppen und sich alle vier Jahre einmal zum heimlichen Lächeln in den Keller schleichen. Heißt es nicht Orgel „spielen“?

Und jetzt viel Freude beim Stöbern und Entdecken.

Michael

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Die „Standardsammlung“ meiner Liste, von der ich meine, dass sie eigentlich auf jeder Orgelempore liegen müsste und es Aufgabe der Gemeinde wäre, sie zu beschaffen:                                                                                                              
„Orgelmusik im Gottesdienst“ Hg. Heinrich Funk, Hinrichsen-Verlag (gehört zu Peters) 3 Bde. No. 2006 a bis c. Band 4 dieser Sammlung ist die an anderer Stelle bereits erwähnte „Zeitgenössische Orgelmusik im Gottesdienst“ (2006 d).
                                                                                                                       Wenigstens die ersten beiden Bände sollte man gemeinsam beschaffen, denn die Anordnung der Stücke folgt den Tonarten (Bd. 1 C-Dur bis e-moll, Bd. 2 F-Dur bis h-moll). Bd. 3 ist dann wieder ein eigenständiger Erzänzungsband. Ich packe die beiden ersten Bände immer dann ein, wenn ich irgendwohin zur Aushilfe gerufen werde und nicht weiß, was mich dort orgel- und raummäßig erwartet. Meine Erfahrung: Irgendwas aus diesen Bänden klingt immer gut. Das liegt daran, dass der Herausgeber sehr sorgfältig ausgewählt hat aus dem reichen Schatz der barocken Orgellandschaften. Typisch französische Registerpiècen aus dem Umfeld Couperins, englische Voluntaries, süddeutsche Ricercari und kantige norddeutsche Fugen mit Repetitionsmotiven, Sätze aus Walthers Konzertbearbeitungen, italienische Elevationstoccaten – und das meiste geht vom Blatt. (Wobei Üben noch nie geschadet haben soll.) Umfang und Vielseitigkeit machen die Ausgabe für mich zur ersten Wahl. Billiger kommt man wohl kaum an ein so umfassendes Kompendium der Musik zwischen 1550 und 1750. Band drei schließt ein paar weiße Flecke auf der Landkarte, vor allem Böhmen – und spannt den stilistischen Bogen bis zu Dvoraks D-Dur-Präludium – als der Band 1971 erschien, eine ungeheure Kühnheit. Für den Band 4 sollte man Spaß an herber Klanglichkeit mitbringen. Die Stücke liegen halt nicht so gut in den Fingern. Da muss man schon etwas dran arbeiten. Aber unter entsprechenden Rahmenbedingungen findet man darin viel Schönes – u.a. drei Originalkompositionen von Marcel Dupré (ausnahmsweise mal nicht für Ausnahmevirtuosen, sondern für ganz normale C-Kurs-Absolventen mit geländegängigen Fingern).

Ebenfalls angejahrt, aber in der Praxis sehr bewährt: Das zweibändige Pendant von Bärenreiter. Unter dem Titel „Freie Orgelstücke alter Meister“ hat Adolf Graf zwei Bände (BA 1224/BA 5478) zusammengestellt. Sie bilden das Gegenstück zu Grafs vierbändigen „Choralvorspielen zum gottesdienstlichen Gebrauch“ (siehe dort). Band I enthält 37, Band II 80 überwiegend knappere Präludien, Fugen und Toccaten von Meistern des 17. und 18. Jh. – durchweg Stücke, die bei Erscheinen nicht in den gängigen Gesamtausgaben greifbar waren, allesamt von gottesdienstgeeigneter Länge und moderater Schwierigkeit – und auf jedem orgelbewegten Instrument gut zu machen. Die schönen, klaren Druckbilder lassen sich auch über drei Manuale hinweg gut lesen – und mit 18 bzw. 30 Euro stimmt auch das Preis-Leistungsverhältnis.

Noch eine neuere Sammlung: „Leichte Orgelstücke des 19. Jh. Bd. II“ aus dem Bärenreiter-Verlag (BA 8417). Der Herausgeber Martin Weyer ist auch so ein Raritätensucher wie ich. Und er hat in der Tat ein paar interessante Stückchen gefunden, so Präludien der Skandinavier Emil Sjögren und Ludvig Lindeman (m.W. nicht verwandt mit Loriots Erwin Lindemann). Dazu einiges, was in meiner Lehrzeit noch auf dem „Index“ stand: M.G. Fischer, Moritz Brosig usw. Immerhin reihen sich 35 Stücke zu einem kleinen Raritätenkabinett. Nur bei den ganz kleinen achttaktigen Harmonisierungen gregorianischer Choralthemen von Aléxandre Guilmant beschleicht mich der Verdacht, dass noch etwas freier Platz auf den Seiten gefüllt werden musste. Da kann man sich gleich das Orgelbuch auflegen und die A-und B-Sätze abwechselnd mit unterschiedlichen Registrierungen spielen, um die Zeit rumzukriegen. Aber vielleicht steckt dahinter ja ein höherer Sinn, der einem einfältigen Practicus wie mir verborgen bleibt. Trotz dieses kleinen (doch nicht?) Mangels ein empfehlenswerter Band.

Band III (BA 8420) folgt den gleichen Editionsprinzipien. Unter den Komponisten der 36 Stücke tauchen der in meiner Lehrzeit verpönte, inzwischen längst rehabilitierte Chr. H. Rinck, M.G. Fischer und der Thüringer Carl-Gottlieb Umbreit gehäuft auf. Besonders gut gefallen mir die ordentlich gearbeiteten, mit einem singenden Prinzipalchor in dichtem Legato organisch strömenden Fugen des Böhmen Johann Beranek – eine davon über BACH. Band I (BA 8416) habe ich nicht, aber ich vermute mal, er ist ähnlich gestrickt.

Auch bei Carus gibt’s inzwischen viel romantische Kleinmeisterei, die nichts mit Kleingeisterei zu tun hat: „Freie Orgelmusik des 19. Jahrhunderts für den gottesdienstlichen Gebrauch“, erschienen in drei Bänden Bd. I CV 40.593, Bd. II CV 40.592 und Bd. III 40.591. (Nein, kein Schreibfehler. Die Nummern sind wirklich rückläufig.) Die Stücke der Bände I uns II stammen überwiegend von deutschen Meistern aus der ersten Hälfte des 19. Jh., gehen also stilistisch und harmonisch kaum über Mendelssohn hinaus. Darunter etliches von Gustav Merkel, Moritz Brosig, Christian Heinrich Rinck, Michael Gotthard Fischer, die ja jede Menge Präludien zum Gebrauch der Lehrerorganisten jener Zeit geschrieben haben. Das meiste paßt auf zwei Druckseiten. Dem Herausgeber Helmut Völkl ist es gelungen, aus den bis ins frühe 20. Jh. verbreiteten Vorspielbänden eine qualitätvolle Auswahl vorzulegen. Das ist gut gearbeitete, wohlklingende Vor- und Nachspielliteratur, geordnet nach Tonarten. Band I enthält auch die schöne, singende BACH-Fuge von Joseph Rheinberger, eines meiner Prüfstücke für einen ausgeglichen intonierten Manualprinzipal 8’. Die beiden Bände haben jeweils rund 90 Seiten, das Druckbild und das Notenlayout sind mustergültig, wie bei Carus nicht anders zu erwarten. Das hat seinen Preis. Doch die Bände sind wegen der Materialvielfalt und der hohen praktischen Brauchbarkeit diesen Preis durchaus wert. Sie vermitteln einen guten Eindruck, was so um 1850 auf deutschen Orgeln gespielt wurde - und daß nicht alles aus dieser Zeit in den Schatten der sinfonischen Virtuosenliteratur gehört.

Band III schlägt einen kleinen Bogen durch die wesentlichen außerdeutschen Orgellandschaften. Der Däne Niels Gade, der Engländer Henry Smart, Antonin Dvorak mit seinem einzigen Orgelwerk (Präludium und Fuge in D), der Amerikaner Herbert Brewer, Lemmens, Wesley, sind mit charakteristischen Arbeiten vertreten. Außerdem gibt es einige Guilmants, an die sonst schwer heranzukommen wäre, weil sie in den Originalausgaben seit Jahrzehnten vergriffen sind und die neue Gesamtausgabe bei Bärenreiter kaum über die Sonaten herausgekommen ist. (Gerade die umfangreichen und vielseitig nutzbaren Guilmant-Sammlungen „l’organiste practique“ und „l’organiste liturgique“ mit ihrem praxisbezogenen Anspruch bei moderatem Schwierigkeitsgrad sind derzeit m.W. nirgendwo zu bekommen.) Außerdem enthält der 80seitige Band noch ein paar Petitessen von Mendelssohn und dem Leipziger Thomasorganisten Carl Piutti. Die insgesamt 26 Stücke sind durchweg etwas länger und einen (kleinen) Tick schwieriger als die der Vorgängerbände. Die drei Hefte haben das Zeug zur Standardsammlung. Die Kirchengemeinde, die sie kauft, tut sich und ihrem Organisten sicher einen Gefallen.

Wer es leichter und nicht ganz so umfangreich, dafür einen Tick moderner haben will, ist mit „Leichte freie Orgelstücke für den gottesdienstlichen Gebrauch“ aus dem Verlag Merseburger (Verl. Nr. 859) gut beraten. Auf 47 Seiten gibt es in allen Tonarten knappe, schnell erarbeitete Stücke – ohne Wendestellen. Bei den Autoren handelt es sich um ev. Kirchenmusiker in der damaligen DDR. Sie schrieben sehr bewusst für die im ruhmreich untergegangenen deutschen Realsozialismus besonders weit verbreiteten „einfachen Verhältnisse“ – und haben mit diesem Heft bewiesen, dass „einfach“ nicht „simpel“ heißt. Da gibt es Präludien, bisweilen in Kanon- oder Trioform, Fugen, zwei kleine Passacaglien. Alles sehr spielerfreundlich und gut klingend. Die meisten Stücke sind zugleich gute Modelle für erste Improvisationsversuche.

Das „Traunsteiner Orgelbuch“ von Matthias Hippe, erschienen im Strube-Verlag (Edition Strube 3017) ist aus der täglichen pädagogischen Praxis des Orgelunterrichtes entstanden. Die Autoren der 23 Stücke quer durch den Quintenzirkel sind allesamt praktizierende bayerische Kantoren, die trotz lutherischer Konfession in ihrem Schreibstil etwas barock-katholisches (oder doch ökumenisch-urbajuwarisches?) durchscheinen lassen. Spieltechnisch bewegen sich die Stücke durchweg leicht bis deutlich unter dem Niveau der „8 Kleinen“ von Bach oder Nicht-Bach, für besonders gelungen halte ich eine dreisätzige „Pastorale“ von Matthias Hippe und sechs sehr vielseitig verwendbare Rondos von Gustav Gunsenheimer. Ich habe diesen Band regelmäßig als „Beikost“ im C-Unterricht verwendet. Und die Schüler haben ihn gemocht, weil wirklich einige Ohrwürmer drin sind, die „was daher machen“ – wenn man etwas dran übt.

Ebenfalls bei Strube (Edition Strube 3103) ist ein kleines Heft mit dem Titel „Orgelmusik sub communione“ erschienen. Dem Titel zum Trotz stammt auch dieses kleine Bändchen von den „Lutherischen“ im Bayernland. (Kath. Kollegen mögen - falls sie darob Gewissensnöte peinigen - vor dem Spiel Dispens beim zuständigen Ortsordinarius einholen.) Eine herrliche „Musette“ über „Schmücke dich, o liebe Seele“, eine schöne Aria für einen ebensolchen Sesquialter, ein „Engelkonzert“ und eine heiter schreitende „Abendmahlsmusik“ gefallen mir besonders gut. Kleine Modernismen werden die Hörergemeinde kaum „confundiren“.

“Herzlich willkommen“ heißt ein Heft des Verbandes Bayerischer Kirchenmusiker (Strube, VS 3215). Sein Ziel: Angehende Nebenamtler sollen mit elementarer Basistechnik Stücke finden, die gut zu bewältigen sind und gut klingen. Beide Ziele sind voll erreicht. Und mehr: Aus den 17 Stücken lassen die neun Kantorenkollegen jede Menge musikalischen Charme sprechen, ohne Gemeinde und Spieler mit gesuchten Schrägheiten zu erschrecken. Das spielen Orgelschüler gern, das hören Gemeinden gern – leicht, aber nicht seicht. Das Heft kostet 8 Euro – und es ist ein Vielfaches wert. Ich habe es auf der Orgelempore im Heimatort meiner Frau herumliegen sehen, es schnell mal durchgespielt und hatte eine Menge Spaß daran. Hätte ich Orgelschüler, wäre das mein Weihnachtsgeschenk für sie.

In dieselbe Kerbe haut das Strube-Heft „Einzug-Auszug“ (Hrsg. Klaus Wedel, VS 3067). Es enthält 9 Stücke verschiedener amtierender bajuwarischer Orgelmeister, die gleichermaßen an den Organistennachwuchs und an die Gemeinden denken. Auch das ist Musik, die – gemessen am Aufwand – schon „was daher“ macht, wenn das „Orgelbüchlein“ oder die „acht Kleinen“ erst in (Er-) Reichweite liegen.

Bei Möseler gibt es eine Reihe „Orgelmusik der Klassik und Romantik“, herausgegeben von Wolfgang Stockmeier. Sie umfasst mittlerweile so um die 30 Bände und Bändchen, zwei davon sind als Sammlungen konzipiert und zwar:
„Leichte Orgelstücke verschiedener Komponisten“ (Bd. 14 / M 19.214) und
„Orgelstücke für Kenner und Liebhaber“ (Bd. 23 / M 19.223). Da hat Stockmeier wirklich im nicht immer gehaltvollen Teig die Rosinen entdeckt. Zum Beispiel (Bd. 23) ein Präludium mit Fuge vom „Etüden-Czerny“. Ja, der konnte wirklich einen tadellosen Orgelsatz schreiben – überwiegend in weiter Lage, was auf früh-romantischen Orgeln gut klingt, mit sauberer motivischer Arbeit und reizvollem Modulationsplan. Das gilt auch für die Fuge! Ansonsten gibt es in diesem Band u.a. eine schöne und leichte „Communion“ von Lemmens – übrigens eine ausgezeichnete Übung für Schüler und andere Lernwillige, mit dem Schwelltritt die dynamische Spannung einer Phrase nachzuzeichnen. Stockmeier ist ja auch ein sehr guter „Restaurator“ und hat ein Fugenfragment von J. L. Krebs zum gottesdiensttauglichen Nachspiel erweitert. (Von ihm gibt es auch eine glänzend gemachte Vollendung des C-Dur-Fantasie-Fragmentes BWV 573, ich weiß leider nicht, in welchem Verlag und bin gerade zu faul, es zu recherchieren.) Übenswert ist auch ein „Ostinato c-moll“ von Mendelssohn, ein Jugendwerk, das hörbar unter dem Eindruck von Bachs Passacaglia entstanden ist.

In Bd. 14 gibt es vier kleine Präludien von Krebs, schon im „galanten Stil“ – anmutige „Hochzeitsmusiken“ oder kleine Festpräludien. Gut gefällt mir auch die klar gearbeitete Fuge c-moll des Böhmen Johann Beranek. Beide Hefte haben um die 70 Seiten, auf denen sich noch viel Spielenswertes findet. Der Schwierigkeitsgrad geht niemals über C-Kurs-Anforderungen hinaus.   

Wer schon beim Blick in die Noten von Liszts oder Regers „BACH“ kapituliert hat, dem bietet die folgende Sammlung doch noch die Möglichkeit einer klingenden Reverenz an unser aller Meister: „Bach-Fugen für Orgel aus dem späten 18. Jh.“ heißt ein Heft aus dem Butz-Verlag (BU 1874), herausgegeben von Felix Friedrich.
Gleich drei BACH-Fugen von Georg-Andreas Sorge präsentieren sich als gut klingende, gehaltvolle vom-Blatt-Stücke. Kellner, Krebs und mehrere Bach-Söhne haben ihrem Lehrer bzw. Vater mit Bearbeitungen der „magischen Tonfolge“ Tondenkmäler gesetzt. Insgesamt elf reizende Zugabenstücke für jedes Bach-Konzertprogramm, zugleich spannungsvolle, da modulationsreiche Organo-Pleno-Stücke für Gottesdienste.

An anderer Stelle habe ich bereits die Reihe „Orgelmusik des 19. Jh.“ aus dem Verlag Alfred Coppenrath erwähnt. Es handelt sich um Reprints aus der Sammlung „Orgelcompositionen aus alter und neuer Zeit“ von Otto Gauß aus dem Jahr 1903. Die Druckbilder sind gewöhnungsbedürftig, da mit Bindebögen, Crescendo-Schnäbeln und anderen Vortragszeichen überladen. Auch das üppige Hochformat macht die Hefte nicht überall „Spielschrank“-geeignet. Aber der Inhalt lässt diese Mängel verschmerzen. Heft II der Sammlung enthält „Franz-Orgelmusik des 19. Jh.“, darunter eine spielenswerte Fuge von Aléxandre Guilmant über „Adoro te devote“ (im kath. Gesangbuch „Gottheit, tief verborgen“). M.W. ist sie sonst nirgendwo zu bekommen. Eine lyrische Pastorale von Daniel Fleuret und eine toccatenhafte Fantasie von Eugène Lacroix sind ebenfalls der Mühe wert.

Im Heft X „Belgische und niederländische Komponisten“ sind das „Prélude“ von Alphonse Mailly sowie knappe Präludien von Alphonse Moortgat und Adrianus Janssen mit wenig Aufwand zur Aufführungsreife zu bringen. Sie klingen – sauberst legato gespielt – auf jedem Orgeltypus gut und dauern keine zwei Minuten. Ein besonderes Bonbon, das jedoch mit etwas Übeaufwand aus dem Papier geschält werden muß: die „Cantilène“ von Joseph Jongen. Eine lyrische Oboe hinter einer von sensiblem Fuße gesteuerten Schwellerwand (bitte KEIN Krummhorn mit Meckertremulant!!) und satte, farblich differenzierte 8’-Flöten müssen aber sein.

Aus dem Heft XI „Englische und skandinavische Komponisten“ würde ich einen Orgelschüler zunächst mit Henry Smarts „Prelude“ „anfüttern“ – schlicht, doch nicht simpel und mit sorgfältig ausgetüftelter Registrierung sehr effektvoll. Generell gilt für die im Heft enthaltenen Arbeiten der englischen Romantiker: Sie sind nicht alle ganz leicht, aber sie machen was daher – auf einer entsprechenden Orgel. Nicht minder wirkungsvoll, aber etwas Arbeit: eine Fantasie des Dänen Niels Wilhelm Gade.

Zu orgelgeschmückten Festivitäten jeder Art packe ich seit einiger Zeit immer das Heft „Zur Trauung“ Band 1 ein, hg. von Wolfgang Bretschneider, erschienen bei Butz (BU 1553). Natürlich sind da AUCH Mendelssohns „Hochzeitsmarsch“ (übrigens in einer anspruchsvollen Bearbeitung) und Händels „Largo“ drin (bisher war ich stolz darauf, so etwas nicht zu besitzen und habe danach fragenden Brautpaaren immer unter Tränen gestanden, das sei zu „schwer“ für mich), aber ansonsten sind da herrliche Festmusiken drin. Angefangen bei Guilmants berühmtem Orgel-arrangement der Sinfonia aus Bachs Ratswahlkantate BWV 29 und Händels „Ankunft der Königin von Saba“ aus „Salomo“ (tolles Arrangement des Heraus-gebers für drei Manuale). Beide Stücke leben aber vom „Klangrausch“ und brauchen schon ein souveränes „Allegro molto“ (Wer Czerny übt, hat mehr vom Leben!). Die „marche triomphale“ von Lemmens gehört zu den Stücken, die halt schon wieder ein größeres Instrument und etwas Raum drumherum brauchen. Dann haut sie aber wirklich ein! Wer keine Rheinberger-Einzelausgaben hat, findet auch die bezaubernde „Cantilene“ aus der 11. Sinfonie. Der Band hat 66 Seiten und bietet viel Festliches für relativ wenig Geld. Band 2 (BU 1554) ist identisch gestrickt. Natürlich eignen sich auch diese Stücke für jedweden Festgottesdienst. Mir gefällt Wolfgang Bretschneiders Arrangement von C.H. Parrys berühmtem „Krönungsanthem“ „Jerusalem“ besonders gut. (Pflichtstück in der „Last night of the proms“ – das Publikum singt regelmäßig mit. Und das ist NOCH ergreifender als das Deutschlandlied aus der Fankurve, wenn unsere Kicker mal wieder gewonnen haben.) Außerdem hat sich in meiner Praxis J.L. Krebs’ „Fantasia in giusto italiano“ mit anmutig schwebender Tenor-Kantilene für Krummhorn oder Vox humana als Abendmahls- oder Epistelmusik bewährt. Den Band der Krebs-Gesamtausgabe habe ich nämlich noch nicht.

„An Organ Miscellany“ aus dem Kevin Mayhew-Verlag (ISBN 1 84003 523 4) halte ich für sehr anschaffenswert. 85 Stücke auf 288 Seiten bieten auf Jahre „Orgelfutter“ in moderatem Schwierigkeitsgrad. Und allein die Tatsache, dass es etwas Mühe macht, an die Ausgaben heranzukommen, garantiert eine gewisse „Exklusivität“. Mir gefallen stets die Stilkopien von Christopher Tambling. Da spürt man einfach den gewieften Praktiker, der für seine Hörer schreibt. In diesem Band ist eine komplette Suite aus seiner Feder versteckt, ein halbes Dutzend Stücke über das ganze Heft verteilt, denen das selbe Thema in G-Dur zugrunde liegt – offenbar ein mir unbekanntes englisches Kirchenlied. Tambling macht daraus einen barocken Konzertsatz, ein gefühlvolles Adagio für die Solozunge, ein elegantes Trio, lässt die Solo-Tuba in Triolen donnern und baut zum Finale eine Fuge über die erste Themenzeile, die sich zur Choral-Schlußapotheose mit Reger-Harmonien steigert – eine ernste Herausforderung an so manche „atmende“ Windversorgung. (So nennen das die Orgelbauer heute, wenn sie sich bei der Dimensionierung von Bälgen und Kanälen verrechnet haben!)

Ein ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis bietet auch der Folgeband „A second organ miscellany“ (ISBN 1 84003 706 7). Der Untertitel „100 attractive Pieces“ ist nicht übertrieben. Das meiste ist uneingeschränkt gottesdiensttauglich und geht vom Blatt oder mit wenig Übeaufwand. Allerdings erfordern die Stücke, wie die des I. Bandes, eine lückenlos disponierte und in den Prinzipalen füllig intonierte Orgel mit sattem Schwellwerk und kräftiger, solofähigerTrompete 8’ im Hw. Ein rundes Cornett, eine lyrische Oboe und eine Streicherschwebung sind für die Interpretation etlicher Piècen fast ein Muß. Der stilistische Bogen reicht von gelungenen Barock- und Romantik-Stilkopien bis zu einer individuell gefärbten, gemäßigt modernen, bisweilen impressionistischen Tonsprache, die jedoch nie die Grenzen des tonalen Systems sprengt. Bis zu Langlais oder gar Messiaen haben sich die zeitgenössischen Komponisten aus dem angelsächsischen Sprach- und Kulturraum selbst bei französischen Stilimitaten nicht vorgewagt.

Weitere 280 Seiten in identischer Faktur – und z.T. von denselben Autoren bietet Mayhew in „Recessionals and Processionals – 100 Pieces for organ“ – eine Fundgrube für alle gottesdienstlichen Anlässe. Alles was ich über „Playing them in“ gesagt habe, trifft auch auf dieses Buch uneingeschränkt zu, Schwierigkeitsgrad inclusive. Bei den allfälligen „Trumpet Tunes“ „Triumpal Marches“ und „Fanfares“ sind raumbeherrschende Zungen die halbe Miete, aber auch auf meiner orgelbewegten Walckerin klingen – tragfähiger Prinzipale sei Dank – die „diapason movements“ ganz passabel. ISBN 0-86209-595-6, Preis (anno 2003) ebenfalls 40 Euro.

„Every Sunday of the year – 52 Volutaries for Organ“ heißt eine weitere sehr brauchbare Sammlung von Mayhew (ISBN 1-84417-496-4). Stilistisch reicht sie von Bach bis zur (englischen) Gegenwart, mit einem deutlichen Schwerpunkt in der Romantik. Unter anderem finden sich ein paar manualiter-Einzelsätze aus den Orgelsonaten Mendelssohns – die er ja in den Urfassungen für den angelsächsischen „Markt“ und die damals dortselbst verbreitete pedallose Orgel schrieb. Alles andere geht dann übrigens mit Pedal. Ein paar Guilmant-Communions, die m.W. derzeit nirgendwo sonst zu bekommen sind, machen mir die Sammlung besonders wertvoll. Darüber hinaus enthält der 160-seitige Band ein paar schöne und seltene Sachen von Franck, Lefébure-Wely, Gigout, Boellmann, Karg-Elert, Elgar. Allesamt wirkliche Raritäten, die ich hierzulande bis dato weder im Konzert noch im GD gehört habe. Die Arbeiten mehrerer britischer Zeitgenossen zeichnen sich durch sensiblen Klangsinn und aparte Harmonik aus. Keines der 52 Stücke – zwischen zwei und vier Druckseiten lang – ist wirklich schwer. An einigen muß man natürlich etwas arbeiten. Und eine ausgefeilte Klangregie, eine Orgel mit schönen Solozungen und sattem Schwellwerk, kommen dieser Musik sehr entgegen. Bezahlt habe ich für den Band 35 Euro. Für ausländische Druckerzeugnisse gibt es übrigens keine Preisbindung, daher lohnt sich durchaus der Vergleich zwischen verschiedenen Anbietern.

Wer’s romantisch, leise und britisch mag, ist mit der Sammlung „Vesper Melody“ aus der Butz-Reihe „Orgelmusik aus England und Amerika“ sehr gut beraten (BU 1900). 20 stille, besinnliche, versonnene und heitere Stücke enthält das Heft. Keines geht über drei Druckseiten hinaus, keines erfordert Virtuosität und jedes klingt auf einer Orgel mit ein paar satten Grundstimmen und Flöten und einer schönen Solozunge hinter einer wirksamen Schwellwand bezaubernd. Ideale Abendmahls- und Meditationsmusik – schlicht, aber nicht simpel - ansprechend, aber nicht seicht. Eine sehr gelungene Auswahl. Ein ausgezeichnetes Notenbild, ein stabiler Einband und ein fairer Preis runden den exzellenten Eindruck ab.

Und im Februar 2007 ist ein Folgeband erschienen: „Vesper Melody Heft 2“ (BU 2020) als Band 21 der äußerst empfehlenswerten Butz-Reihe „Orgelmusik aus England und Amerika“. In der Verlagsankündigung heißt es: „Wohlklang pur, leichte Ausführbarkeit und sofortige Verfügbarkeit bei allen Anlässen, die meditative, relativ kurze Orgelpretiosen erfordern.“ Und das könnte von mir sein. Denn dem ist nichts hinzuzufügen. Mit den beiden Heften tut Ihr euren Hörern und Euch wirklich was Gutes. Die Sachen klingen sogar auf meiner orgelbewegten Walckerin – ich habe dabei den Prinzipal 8’ als Diskant-Soloregister entdeckt.

Eine beachtenswerte Raritätensammlung im stilistischen und zeitlichen Umfeld César Francks ist bei Forberg in drei Bänden erschienen: „Les maitres Parisiens de l’orgue au 19ième siècle“. hg. von Kurt Lueders. Leider sind die zwischen 40 und 70 Seiten zählenden Bände recht teuer (Jaja, das kommt davon ,dass die bösen, bösen Organisten immer so viel kopieren!). Aber man kriegt für’s Geld wirklich ein paar schöne Sachen, die nicht jeder spielt, z.B. eine Fuge von F. Benoist und eine Élevation von Batiste, wer ein selten gespieltes Konzertstück sucht, ist mit Guilmants „Prélude, Thème, Variations et Final op 24“ gut beraten. (alle in Bd. 1) Übrigens sind die Druckbilder von Forberg sehr augenfreundlich, das lässt das Loch im Noten-Anschaffungs-Etat verschmerzen. Band II enthält Weihnachtsmusik – überwiegend über die klassischen franz. „Noels“, die man von Daquin, Balbastre und Dandrieu kennt – hier eben in der romantischen Variante und vor allem sehr leicht zu spielen!

Band III bietet längere Stücke, was nicht unbedingt „schwierig“ heißt. Ein Kabinettstück der besonderen Art: ein Prozessionsmarsch von Charles Gounod. Frei nach dem bewährten Rezept: Man nehme eine Kathedrale, installiere dortselbst eine Cavaillé-Coll mit doppeltem Bombardenchor und der Festungsartillerie aus dem Krieg 1870/71 und donnere munter drauflos. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Kirchenarchitekten oder Ihren Ohrenarzt.

Gerade die Orgelmusik der Bachzeit hat den Vorteil, allgemeinverständlich und auf den meisten Orgeln angemessen darstellbar zu sein. Außerdem stellen die meisten Opera des Bach-Schülerkreises und Umfeldes eher moderate technische Anforderungen (nimmt man die großen Krebs-Präludien aus – da hat man sogar mit ausgefeilter Dupré-Technik an den Pedalpassagen zu knabbern.) Dem trägt Breitkopf & Härtel mit einer empfehlenswerten zweibändigen Sammlung Rechnung: „Orgelmusik um J.S. Bach, hg. von R. Wilhelm, (Bd. 1 EB 8470, Bd. II EB 8685). Die inzwischen bekannteren „Kleinmeister“ Altnikol, Gerber, Kellner, Kittel Rinck und andere können ihre Herkunft von JSB nicht verleugnen. Die Sammlung umfasst durchweg solide gearbeitete Literatur im Grenzbereich von Spätbarock und früher Klassik. Schön sind bei Breitkopf stets die Druckbilder und die solide Heftung. Dafür gibt man gern ein paar Euro mehr aus.

Jetzt ein kleiner Streifzug durch die Gefilde südlich des Weißwurscht-Äquators, wo ich einige Jährchen mein Unwesen als Bezirkskantor getrieben habe:

Zunächst ein Heft aus der Edition Merseburger, „Musik des oberschwäbischen Barock“ (EM 812). Die längst verblichenen Kollegen waren überwiegend Organisten an bedeutenden süddeutschen Klöstern: Isfrid Kayser, Conrad Michael Schneider, Franz Anton Maichelbeck, Carlmann Kolb, Franz Schnizer (bisweilen auch Schnitzer), Sixt Bachmann und Joseph Lederer lebten allesamt zur Bachzeit und schrieben eher pianistische (cembalistische) Musik mit sparsamem Pedalgebrauch. (Wer einen der Komponisten kennt, kriegt einen grünen Pluspunkt! Zehn grüne Pluspunkte kann man bei mir an jedem 30. Februar gegen einen Leuchtkeks eintauschen. Das besondere am Leuchtkeks: Man findet ihn im Dunkeln!) Deshalb sind diese und die folgenden Sammlungen auch für Kollegen interessant, die Positive spielen oder historische Instrumente mir reduziertem Pedalumfang – und auch für die, die ein Cembalo in der Kirche haben! Wenn eine Orgel eine präzise repetierende und brillante Trompete 8’ hat, spiele ich gern Kaisers „Ouverture“, denn auf markige Grave-Punktierungen alla franchese folgt ein spritziges Presto mit federnden Repetitionsmotiven, einer spanischen „Batalla“ nicht unähnlich. Auf meiner ersten Stelle hatte ich eine komplette Batterie span. Trompeten im Hw. – bei aller Brillanz keine akustischen „Totschläger“. Da klang dieses Stück berauschend schön. Allerdings wirkt es auch prima mit Flöten 8’ + 4’ + prickelndem 2’Prinzipal. Tempo muss aber sein! Auch das Präludium von Maichelbeck erfordert eine gewisse Fingerfertigkeit, um zu wirken.

Bei Anton Böhm & Sohn in Augsburg sind ebenfalls vier nette Hefte mit süddeutscher Barockmusik unter dem Titel „In Organo“ erschienen. Hg. war Gregor Klaus, der ehemalige Organist der berühmten Gabler-Orgel in Weingarten.
Heft 1 enthält Präambeln, Fugen und Versetten, allesamt von liturgieverträglicher Länge, mäßigen technischen Anforderungen und auf kleinsten Orgeln machbar, meistens auch rein manualiter. In Heft 2 finden sich Ricercari und Fugen, manche von ihnen spiele ich schlicht mit einem schön singenden Prinzipal 8’ als Abendmahlsmusik, andere sind prächtige Plenumstücke für einen leuchtenden Prinzipalchor. Heft 3 bietet Variationszyklen, Chaconnen und Capricci. Sie leben vom Farbenwechsel und dem geistvollen Umgang mit den Registerzügen. Ab und an nehme ich so etwas zu Orgelvorführungen – vor allem bei kleineren Instrumenten mit Neobarock-Disposition. (Der üblichen mittelhessischen Einheits-Dorforgel-Disposition mit 14 Registern lässt sich damit Erstaunliches abgewinnen.)
In Heft 4 sind dann „Schwäbische Orgelmeister des 18. Jh.“ zu finden. Wobei mit „Schwaben“ nicht Württemberg gemeint ist, sondern der bayerische Regierungsbezirk zwischen Iller, Lech, Donau und Alpen. In ihm liegen Ottobeuren, Irsee, die Wieskirche und andere barocke Juwele mit entsprechenden Orgeltraditionen. Die Musik dieses Heftes trägt schon deutlich „galante“ Züge. Die Stücke würden – auf dem Klavier gespielt – durchweg als bisher unentdeckte Werke Mozarts durchgehen, die der Frühvollendete im Laufställchen komponiert hat.

Seit zu meinem Dienstumfang das Spiel auf einem Positiv (ich verkneife mir das an dieser Stelle übliche Wortspiel) in der Hauskapelle eines Seniorenzentrums gehört, beschäftige ich mich wieder intensiver mit Manualiter-Literatur. Da sind die Werke der barocken Engländer, allesamt für die dortzulande bis ins 19. Jh. hinein übliche pedallose Orgel geschrieben, erste Wahl.

„Old english organ music for manuals“, hg. von C.H. Trevor, erschienen bei „Oxford University Press“. Das Book 1 (ISBN 0 19 375824 5) hat 24 Seiten und ist mit knapp 20 Euro nicht gerade billig. Aber der Inhalt – Einzelsätze aus den „Voluntaries“ von Händel-Zeitgenossen wie Croft, Keeble, Heron, oder den eine Generation später wirkenden Goodwin und Wesley – ist auf allem spielbar, was Pfeifen (seien sie real oder virtuell) und Tasten hat – vom dreiregistrigen Positiv bis zur Domorgel. Natürlich ist ein sattes Plenum auf 16’-Basis für die allesamt rein manualiter spielbaren Stücke besser, aber im Prinzip läßt sich jede „Grave“-Einleitung mit der Registerangabe „full organ“ auch mit Flöten 8’+4’ und einem glitzernden Prinzipal 2’ spielen. Wer im Klavierunterricht die Kuhlau- oder Clementi-Sonatinen gespielt hat, der kann mit dieser Literatur eigentlich sofort auf die (pedallose) Orgel umsteigen; dem machen auch die Allegrosätze keine Mühe. Natürlich gewinnt die Musik, wenn die Orgel zwei Manuale mit Cornett und Trompete hat. Und ich spiele die „full-organ“-Partien – Achtung, Puristen: Weiterlesen auf eigene Gefahr! - mit Pedal. Ich hab’s untenrum nun mal gern saftig. Gelegentlich mißbrauche ich die zweistimmigen Allegrosätze der barocken Engländer auch als Etüden für Pedal und rechte (oder linke) Hand. Ein tolles Training, sich im Triosonaten-Spiel zu habilitieren. Da lernt man, an Fußsätzen zu feilen und sich auf konsequente Artikulation (war in meiner Studienzeit ein absolutes Muß, heute geht’s oft nach dem Motto „inconsequentia delectat“) zu konzentrieren.

Book 2 aus derselben Reihe hat die ISBN 0-19-375825-3, Book 3 die ISBN 0-19-375826-1. Auch sie enthalten gefällige manualiter-Musik von sehr moderatem Schwierigkeitsgrad – wobei so manchem Allegro etwas Fingerfertigkeit und Übefleiß gut anstehen. Das Heft enthält u.a. einen satten Akkordsatz für zwei abwechselnde Manualplena von Jonathan Batthishill (I’ve never heard from him before)– und es macht kaum Mühe, die Baßstimme der Hw-Passagen ins Pedal zu nehmen. Dann hat man ein richtig saftiges Plenumstück, bei dem die rudimentär bewanderten Hörer auf einen bisher unbekannten Mendelssohn tippen würden. Weitere Bonbons für jede gottesdienstliche Lage: ein „Flute piece“ von Thomas Thorley, das mit leichtflüssigem Allegro und intelligenter Artikulation in die Tastatur getupft werden muß; etliche „Diapason movemets“ für ruhige Prinzipalklangfarben und für alle, die noch schnell was für die Christvesper suchen und nicht zum Üben kommen: eine Pastorale von Philip Hayes – liebliche Sext- und Terzparallelen über Orgelpunkten. Sie klingen nicht nur mit einer schönen Flöte und Tremulant, sondern auch in allerlei Triomischungen allerliebst. Wer das nicht vom Blatt hinkriegt, sollte vom öffentlichen Spiel Abstand nehmen, bis er so was vom Blatt hinkriegt – also nicht allzu lange.
                                                                                                                             Eine elegante Gavotte von Matthew Camidge eröffnet Band 3 – sie rechnet ebenfalls mit zwei Manualen und gut gestuften Prinzipalklängen. Das „Flute piece“ von William Hine habe ich am Sonntag nach dem Erwerb des Heftes meinem Gottesdienstpublikum als Epistelmusik dargeboten (In meiner Gemeinde gibt es jeden Sonntag Epistel- und Evangelienlesung, dazwischen wird vom Presbyterium, das in der rheinischen Kirche „Liturgiehoheit“ hat, ausdrücklich Orgelliteratur gewünscht.) und hinterher mehrfach darauf angesprochen. Die Vortrags-bezeichnung lautet „brisk“ - auf schwäbisch: saug’schwind. In die Sparte „Musik zum Krippenspiel“ gehört ein „Siciliano“ von John Alkock, in pastoralem G-Dur und wonniglich wiegendem Rhythmus. Das geht auch noch in der Christvesper um 23 Uhr – nach Weihnachtsgans, Aperitif, zwei edlen Tischweinen, Likör im Dessert und den Resten aus der angebrochenen Sektflasche.

Meine ältesten Manualiter-Hefte mit englischer Barockmusik habe ich 1978 in London gekauft: „English Organ music of the 18th century“, hg. von Gordon Phillips bei Hinrichsen (Peters), erschienen unter No. 180a (Volume I) und 293a (Volume II). Alles, was ich oben geschrieben habe, trifft auch auf die in der Sammlung enthaltenen Opera von Boyce, Travers, Walond, James, Sanders Dupuis, Keble, Berg und Nares zu: elegante Spielmusiken für viele Gelegenheiten. Möglicherweise sind diese beiden Hefte aber inzwischen vergriffen.

Auf der Demo-CD eines Digitalorgelherstellers habe ich kürzlich eine dreisätzige d-moll-Sonate von Baldassare Galuppi gehört und gedacht, das wär’ doch was Positives für mein Seniorenheim-Positiv. Bei der Recherche wurde ich auf Musik aufmerksam an der ich bisher demonstrativ vorbeigegangen bin. Denn der Begriff „Orgelmusik in Italien“ war für mich bisher nur mit Gruselerfahrungen besetzt. Nirgendwo sind mir schlechter instand gehaltene und/oder schlechter gespielte Instrumente begegnet. (Petersdom zu Rom inklusive – als ich die grausam verstimmte, wie ein Harmonium wimmernde „Hauptorgel“ hörte, war ich so ergriffen, daß ich sofort die Flucht ergriff. Daß Zungen so verstimmt sein können und der Organist trotzdem meint, sie benutzen zu müssen, war mir neu.)
Wenigstens meine Einstellung zur Orgelmusik südlich der Alpen hat sich jetzt teilweise positiv verändert. (Ich muß gestehen, daß ich Frescobaldi nie viel abgewinnen konnte. Jaaaa Leute, ich weiß: hochgelehrte Kontrapunktik, Übertragung der altklassischen Vokalpolyphonie aufs Tasteninstrument. Daaas Ideal katholischer liturgischer Orgelmusik schlechthin. Aber – ich mag’s einfach nicht. Habt Nachsicht mit mir!)                                                                                                 
Herbert Paulmichl hat bei Butz vier Bände „Unbekannte Orgelmusik aus Italien“ herausgegeben (Bd. I BU 1328, Bd. II BU 1329, Bd. III BU 1626, Bd. IV BU 1718). Besagte Sonate fand sich in Bd. III, und da ich die anderen Stücke ebenfalls ganz nett fand, habe ich mir die restlichen Hefte auch besorgt und es nicht bereut. Es handelt sich überwiegend um – durchweg dreisätzige – Sonaten ohne feste liturgische Bindung. Auf dem Cembalo brillant gespielt, gehen sie als frühe Mozarts oder Telemanns durch. Die Allegrosätze beschränken sich meistens auf Zweistimmigkeit, brauchen aber Tempo und eine elegante Technik. Wiewohl es sich um reine Manualiter-Literatur handelt (gelegentlich taucht mal ein Pedal-Orgelpunkt auf), habe ich mir einige Adagios als Trios mit Pedal eingerichtet. Auch die Toccaten leben von einer überdurchschnittlichen Geläufigkeit – wiewohl sie von richtig-gehender „Virtuosität“ ein Stück Abstand halten. Sehr reizvolle harmonische Wendungen enthalten die „Elevationen“, eine spezifische Gattung, die im italienischen und französischen Stilkreis während der (stillen) Einsetzungsworte des Priesters bei der Konsekration von Brot und Wein gespielt wurde.

Schon seit einiger Zeit pflege ich ja die romantische Orgelmusik Englands – meine jüngste Entdeckung sind „50 Victorian pieces for organ“ bei Mayhew (ISBN 1-84417-236-8), Stücke von max. fünf Minuten Länge bei eher moderatem Schwierigkeitsgrad. Sie stammen überwiegend von Henry Smart, Samuel Sebastian Wesley und William Thomas Best – alles im „nobilamente“-Stil der viktorianischen Ära, komponiert für Instrumente mit satten Grundstimmen, differenzierten 8’-„Solisten“ und orchestralen Zungen. Sie zeichnen sich aus duch feinen Klangsinn, bisweilen subtile Kontrapunktik (Wesley) und gediegene Satztechnik. Ich hätte keine Skrupel, eines der längeren Stücke (Smarts „Andante in F“) von quasi-sinfonischen Ausmaßen konzertant zu spielen. Der Band enthält auch Wesleys elegante „Gavotte“, ein Kabinettstück der englischen Orgelromantik, das sogar manualiter „geht“, mit ausgefeilter Registrierung auf „Great“ und „Swell“ natürlich erheblich wirkungsvoller ist.

Butz hat zu seinen „Präludien und Postludien der englischen Romantik“ jetzt einen Folgeband aufgelegt (BU 1966), weitere 16 genretypische Stücke, sehr wirkungsvoll bei mäßigem Übeaufwand sin vor allem „Alla marcia“ von Thomas Adams“ und „Processional March“ von John Warriner – „pompichte“ Dreiminüter, die man bei vielen Gelegenheiten brauchen kann – von der Trauung bis zur Pfarrerseinführung oder zum Einzug der Konfirmanden.

Wer in seiner Orgel schöne Solostimmen hat und sie mit (zeitgenössischem) englischem Repertoire vorstellen will, findet passendes im Band „Soloing the Stops – thirty pieces showcasing their characteristic voices“ von Mayhew (ISBN 1-84003-881. Er enthält Arbeiten, die in Bewegung und Ausdruck schönen Trompeten, Tuben, Oboen, Prinzipalen, Flöten und Streichern auf den Leib geschrieben sind – in einer durchaus modernen, aparten Tonsprache ohne gesuchte Dissonanzen. Nicht alles würde ich im Gottesdienst spielen, aber Stoff für Orgelvorführungen und originelle Zugaben finden sich allemal. Nicht zuletzt kann man sich viel über die wirkungsvolle Behandlung der jeweiligen Soloregister ablauschen für die eigene Improvisationspraxis.

Der Königin der britischen Orgelregister, der „Tuba“, hat Mayhew ein eigenes Heft gewidmet: „Couple the tuba“ (ISBN 1-84417-196-5). Neun Stücke zum solistischen Brillieren oder zum Drauflosdonnern – harmonisch reizvoll, rhythmisch lebendig, nie wirklich schwer aber immer eine solide technische Basis und etwas Spielwitz voraussetzend. Wenn englische Tuben hierzulande auch zu den Rarissima zählen: Eine entsprechend satte Trompete tut es auch – am besten schwellbar. Mein Trick: Ich ziehe oft die 4’-Oktave und (im Solo) auch die Quinte 2 2/3’ dazu, das gibt mehr „Fleisch“ in den mittleren Frequenzbereichen und mildert manche Spröde – vorher empfiehlt sich eine Reinstimmung.

Andreas Rockstroh hat sich ja inzwischen als Schatzgräber einen Namen gemacht. Seine Editionen mit unbekannter Orgelmusik der Romantiker in diversen Verlagen zeichnen sich durch hohen praktischen Nutzwert und inhaltliche Originalität aus. Ganz auf dieser Linie liegt seine Reihe bei Bärenreiter. Obwohl die Bände freie und choralgebundene Werke enthalten, ordne ich sie unter den freien Werken ein, denn auch die Choralvorspiele sind – meist allein schon wegen der Länge – eher gottesdienstliche Rahmenmusiken als Choraleinleitungen. Außerdem sind aus Gründen der klanglichen Ästhetik nicht alle Choralbearbeitungen in die heute üblichen Tonarten transponiert.                                                                                      
„Orgelmusik zu Lob und Dank“, bei Bärenreiter als BA 8494 erschienen, heißt Rockstrohs jüngste Publikation. Auf 109 Seiten findet sich viel Wirkungsvolles über die gängigen protestantischen Festchoräle von den „üblichen Verdächtigen“ wie Piutti (Fest-Hymnus op. 20, sehr pompicht mit eher versteckt eingearbeitetem „Nun danket alle Gott“), Forchhammer, Herzogenberg etc. – aber auch eine „Frühlingsfantasie“ des Stettiners Gustav Flügel, die nicht nur schwungvoll-programmatischen, sondern auch konzertanten Anspruch erhebt. Generell gilt für die 17 Opera dieses Bandes, daß sie durchaus schwieriger sind als die Stücke in den bisherigen Rockstroh-Publikationen. Dabei wird es allerdings nie so richtig virtuos, wenngleich z.B. Uso Seiferts „Fantasie über „Lobe den Herren, den mächtigen König“ schon etwas Geläufigkeit braucht, dann aber wirklich eindrucksvoll klingt (wenn die Orgel es hergibt). In „Orgelmusik zur Passions- und Osterzeit“ (BA 2910) hat Rockstroh dasselbe Prinzip angewandt. Neben wenigen freien Werken finden sich vor allem sehr affektgeladene Choralbearbeitungen im Passionsteil. Bemerkens- und spielenswert scheint mir vor allem eine „In memoriam“ betitelte „Introduktion und Fuge mit Choral“ des zu Lebzeiten hochgeschätzten Opern- und Salonmusikkomponisten Carl Reinecke. Hätte ich den Band eine Woche früher bekommen, hätte ich das Stück für den Karfreitag in Erwägung gezogen, denn es zitiert im Schlußteil deutlichst den Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“. Unter den Arbeiten für Ostern gibt es eine imposante Fantasie (eigentlich Introduktion und Fuge) von Max Gulbins über „Christ lag in Todesbanden“. Damit habe ich meine Gemeinde dann am Ostermontag „hinausgeorgelt“. Auch für diesen Band gilt: An allen Stücken muß man arbeiten, aber sie sind durchaus gut machbar und sehr effektvoll. Druckbild und Notensatz (Hochformat) sind in beiden Bänden über jede Kritik erhaben. Aber bei Bärenreiter ist man das ja gewohnt. Neugierig bin ich geworden auf die beiden weiteren Hefte der Reihe: „Orgelmusik zu Trauungen“ (BA 8200) und „Orgelmusik zu Weihnachten“ (BA 8495). Mal sehen, ob mein Etat das im Lauf des Jahres hergibt.

Die Sammlungen aus der Strube-Edition sind ebenfalls durchweg von hohem praktischem Nutzen. Karl-Peter Chilla hat dort unter dem Titel „Maestoso“ „feierliche leicht ausführbare Ein- und Auszugsstücke für Festgottesdienst und Hochamt“ herausgegeben, wie es im Untertitel heißt. Die genannten Attribute treffen auf die 16 überwiegend freien Kompositionen durchweg zu. Darunter befinden sich z.B. die nette „Sortie D-Dur“ von César Franck, die m.W. bisher nur in der Franck-Uralt-Harmonium-Sammlung „L’organiste Vol. II“ abgedruckt war – seit Urzeiten eines meiner Zugabenstücke und Hochzeitsfavoriten (obwohl das Motiv aus einem franz. Weihnachtslied stammt – aber das muß man ja nicht verraten!). Jede Menge Pomp bietet auch Lemmens’ „Marche pontificale“, deren vollgriffigen Satz der Herausgeber spielerfreundlich entschärft hat, ohne zu sehr in die Substanz einzugreifen. Unter den Choralbearbeitungen gibt es „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ – eigentlich die Schlußapotheose von Liszts „Weinen, Klagen …“, ein Arrangement, das mit ausgetüftelter Klangregie vom pp bis zur akustischen Breitseite den Einsatz aller Klangressourcen in knapp 40Takten ermöglicht. Theodor Drahts schönes CVS „Lobe den Herren, den mächtigen König“ hat der Hg. dankenswerterweise in (original-) G und in F aufgenommen. 
                                                                                                                                          

                                                                                                                               

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