Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche
ISSN 2509-7601
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FRANZÖSISCHE CHARAKTERSTÜCKE MIT UND OHNE PEDAL aus der "Orgelliteraturliste Hans-Dieter Karras"
César Franck: L'Organiste, Receuil de Pièces pour orgue ou Harmonium, Volume 1 und 2, Enoch & Cie, Paris oder Harmonia Uitgave, Hilversum in 4 Bänden 933, 938, 957, 965
Jean Guy Ropartz: Au pied de l'Autel, Volume 1 (60 pièces), Volume 2 (40 pièces), Editions Salabert, Paris Eugène Gigout: L'Orgue d'Eglise, Receuil de Pièces pour orgue ou harmonium, Enoch & Cie, Paris
Léon Boëllmann: Heures Mystiques op.29, Harmonia Uitgave, Hilversum, 1974, 3 Bände 2688, 2768, 2774 oder Dr. J. Butz Musikverlag, Sankt Augustin, Verl.-Nr. 1297 und 1298
Louis Vierne: "24 Pièces en style libre", Volume 1 und 2, Edition Durand, Paris
Jean Langlais: Douze Petite Pièces pour Orgue et Harmonium, Editions Musicales de la Schola Cantorum, Paris
Jean Langlais: Vingt-quatre Pièces pour Harmonium ou Orgue (2 Volumes), Éditions M. Combre, Paris
Allen voran natürlich die unerschöpflichen zwei Bände des "L'Organiste" von César Franck (1822-1890). Mit dieser Sammlung, die von einem mit Franck befreundeten Dorfpfarrer angeregt wurde, um qualitativ bessere Musik auch für weniger geübte Organisten und eben auch für das Harmonium zu haben, da in der Provinz nicht überall eine Orgel zu finden war. Viele Stücke werden dem auch gerecht und lassen sich auf der Orgel mit und ohne Pedal gleichermaßen gut spielen. Außerdem überrascht der gekonnte Umgang mit der kleinen Form, wo Franck sich doch sonst in umfangreicherem Maße verströmt. In einigen Stücken des zweiten Bandes hat er sich denn auch ein paar Mal etwas über das eigentliche Ziel hinausgewagt und schafft gleichermaßen Vorstudien zu symphonischen Stücken, die schon recht eindrucksvoll daherkommen und einen gewandteren Organisten verlangen. Aber, die nach Tonarten geordneten Stücke sind durchweg schön und für den liturgischen Gebrauch bestimmt, daher auch manch viertaktiger Satz mit dem Vorwort: Amen. Gut zu gebrauchen zwischen Gebeten und Lesungen oder in Vespermusiken, und natürlich hervorragend zur Einführung eines Schülers in die Welt der französischen Orgelromantik.
Interessant und sogar diesen Stil weiter entwickelnd und bereichernd sind die beiden Bände "Au pied de l'Autel" (Am Fuße des Altars) des César Franck Schülers Jean Guy Ropartz (1864-1955). Hier hat man zwischen der Mystik eines Franck und der Heiterkeit eines Boëllmann alle Komponenten. Die Stücke in, nach Tonarten geordneten Suiten, sind auf jeder Orgelgröße gleichermaßen wirkungsvoll. Man sollte sich schon beide Bände zulegen und hat ein schier unerschöpfliches Repertorium für alle Gelegenheiten, wo spätromantische, frankophile Klänge angesagt sind.
Kaum bekannt ist auch der Band "L'Orgue d'Eglise" (Die Kirchenorgel) pour orgue ou harmonium von Eugène Gigout (1844-1925). Hier wechseln anspruchsvollere und auch durchaus gehaltvolle Stücke mit einfacheren liturgischen Stimmungsbildern. Eine Sammlung, die wiederzuentdecken lohnt und auch gespielt werden sollte. Die wohl bekannteste Sammlung dieser Epoche sind die "Heures Mystiques" (Mystischen Stunden) op.29 und op.30 des Elsässers Léon Boëllmann (1862-1897). Sein so überaus eingängiger, volkstümlicher Stil, der auch mit spieltechnisch einfacheren Mitteln virtuos klingende Orgelmusik zu erzeugen weis, ist hier in vielen kleinen, lohnenden Stücken versammelt. Gegliedert nach den Formen, wie Entrées, Offertoires, Élévations, Communions und Sorties versammeln sich liturgische Gebrauchsstücke von höchster Vollendung.
Vom blinden Notre-Dame Organisten Louis Vierne (1870-1937) gibt es ebenfalls lohnende Charakterstücke für Orgel oder Harmonium mit den "Pièces in style libre" (Stücke im freien Stil, 2 Bände), allesamt wunderbare Charakterstücke in seinem expressiven spätromantischen Stil, der aber so viel klarer als z.B. Max Reger mit Modulation und Melodie umzugehen wußte. Freilich sind diese eher für den gewandten Organisten gedacht und bereichern so manches meiner Konzertprogramme. Interessant aber, daß sie sich durch ihre Konzeption und
genialen Satz auch auf kleineren Instrumenten darstellen lassen.
Selbst der, ebenfalls blinde Meister von Ste.Clotilde und damit Nachfolger von César Franck, Jean Langlais hat mit seinen "Douze petites pièces" und mit den "Vingt-quatre Pièces" (2 Bände) pour orgue et harmonium nochmals dieser Form ihren Tribut gezollt. Seine Miniaturen sind wunderschön farbig und besonders zum Unterricht gut geeignet, um Schüler in die modale Kompositionsform und den typischen Stil der frühen französischen Moderne einzuführen.
Bedienung eines französischen Harmoniums
Um die Angaben in César Francks "L'Organiste" und ähnlichen Sammlungen für Harmonium oder Orgel zu verstehen, nachfolgend einmal die Erklärung der Zahlen und Zeichen, die dem Notentext meist vorangestellt sind und dem heutigen Spieler meist nichts mehr sagen. Diese betreffen das typisch französische Harmonium (Mustel-Harmonium u.ä.), welches wirklich wie eine romantische Orgel zu klingen vermag:
(1) links = Cor anglais 8' (1) rechts = Fl_te 8'
(2) links = Bourdon 16' (2) rechts = Clarinette 16'
(3) links = Clairon 4' (3) rechts = Fifre 4'
(4) links = Basson 8' (4) rechts = Hautbois 8'
Der Registerzug (G) = Grand jeu zieht alle Register in Baß und Diskant gleichzeitig. Der Registerzug (E) = Expression schaltet den Magazinbalg aus, so daß die Pumpbälge den Wind direkt zu den Stimmstöcken liefern und der Spieler dadurch in der Lage ist leise und laut durch langsames oder schnelles Treten, auch stoßweise für Akzente die Luftzufuhr zu regeln, allerdings ist der Luftstrom dann nicht mehr stabilisiert. Die zwei Züge (0)= Ouvert (Baß und Diskant) öffnen die Forteklappen über den Stimmstöcken und den Zungen für lauteren Klang durch die damit verbundene direktere Abstrahlung. Der Registerzug (C) oder (VC), bzw, (6) = Celeste, also die Schwebung, zwei gegeneinander verstimmte Zungen. Außerdem gibt es noch den Zug (VH) = Voix humaine mit dem sich ein, wie ein Ventilator drehendes Windrad über dem Stimmstock in Gang setzen läßt, welches den Ton zum Vibrieren (Tremulant) bringen läßt. Besondere Beachtung bei diesen Registerangaben haben auf die Fußlagen zu erfolgen. Da man manchmal auch in der rechten Hand begleitet und die Melodie in der linken Hand führt.