Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche
ISSN 2509-7601
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Weihnachtliches
Zunächst für die, die es ganz einfach haben wollen oder brauchen, ohne in den Ruf geraten zu wollen, „Simples“ zu spielen: Euch sei der fränkische Barockkomponist Valentin Rathgeber (1682 - 1750, also Bach-Zeitgenosse) ans Herz gelegt. Ich besitze zwei Hefte: „Pastorellen für die Weihnachtszeit“, erschienen bei Butz, St. Augustin. Meine Ausgabe - mindestens 35 Jahre alt - hat die Verlagsnummer 250. Die ist möglicherweise nicht mehr aktuell, da Butz-Bestellnummern heute vierstellig sind. Aber ich weiß, daß das Heft ist noch im Programm ist. Und das aus gutem Grund. Denn Rathgebers kleine Stücke - allesamt manualiter machbar, doch mit Pedal wesentlich „pompichter“ - sind wirklich charmante Orgelmusik, die man auf jedem Instrument irgendwie gut zum Klingen bringen kann. Natürlich bieten eine „trillerfreudige“ Mechanik und ein Registerfundus in der Ästhetik des südd. Barock die idealen Voraussetzungen zur Wiedergabe. Der Schwierigkeitsgrad liegt deutlich unter dem einer Klaviersonatine. Aus den acht Stücken lassen sich auch - abwechslungsreich zu registrierende - Zyklen zusammenstellen. Ich habe mir z.B. aus den Nummern 1 (F-Dur), 7 (d-moll) und 8 (F-Dur) eine „Alternative“ zu Bachs „Pastorale“ zusammengebastelt.
Es soll übrigens bei Butz auch einen Band II geben. Leider ist mein Katalog verschwunden (irgendein Saboteur - vermutlich weiblichen Geschlechts und Mutter meiner Kinder - hat in meinem Musikzimmer „aufgeräumt“), sonst würde ich schnell mal nachsehen. Kaufen werde ich mir das Heft wohl nicht, denn ich besitze zudem die „Weihnachts-Pastorellen“ von Rathgeber aus der Edition Peters (Nr. 8087), hg. von Traugott Fedtke. Für diese zwölf Stücke gilt das oben gesagte uneingeschränkt. Zum Butz-Heft gibt es nur eine Doublette, ansonsten sind in diesem Band die Kreuztonarten bevorzugt, während bei Butz die weicheren „Pastoraltonarten“ dominieren.
Bei Coppenrath, Altötting, gibt es eine Reihe „Süddeutsche Weihnachtsmusik“. Der Band 13 trägt den Titel „Pastoralmusik bayerischer Komponisten des 18. Jh.“ Die Opera der Herren Theodor Grünberger, Joh. Anton Kobrich, Marian Königsperger, Gregor Schreyer, Justinus Will und Ludwig Zöschinger sind allesamt im „galanten“ Rokkoko-Stil der Mozart-Zeit geschrieben. Sie decken also eine Epoche ab, in der wenig repräsentatives für Orgel geschrieben wurde. In einschlägigen Konzerten habe ich gern ein oder zwei dieser Sachen als Vertreter der Klassik ins Programm genommen. Die Maestri waren durchweg Klosterorganisten und schreiben einen schlichten, anmutigen Stil, der den Hörer unmittelbar anspricht. Auch diese Stücke stellen technisch äußerst moderate Anforderungen. Wer einen vierstimmigen Satz aus dem Choralbuch spielen kann, kriegt das auch ordentlich hin. Einige Kabinettstückchen leben allerdings von einem spritzigen Tempo. Auch hier genügt eine bescheidene Orgel, wenn sie nur schöne Flöten 8’ und 4’ mit einem glitzernden Prinzipal 2’ darüber hat.
Die romantischen Pendants zu diesen Stücken bietet Heft 7 der Coppenrath-Reihe, „Pastoralmusik für Orgel aus dem 19. Jh.“. Auch da tauchen Namen aus der Zweit- und Drittbesetzung auf (Aiblinger, Führer, Pitsch, Schiedermayr), was nichts über deren kompositorische Fähigkeiten aussagt. Immerhin war Simon Sechter der Lehrer Anton Bruckners. Diese Stücke sind nicht nur etwas länger als ihre klassischen Geschwister. Sie stellen auch geringfügig höhere Anforderungen ans Spielvermögen, ohne den Bereich der C-Kurs-Tauglichkeit zu verlassen. Sehr gelungen ist Robert Führers Präludium über „Freu dich, Erd und Sternenzelt“. Ich verwende es sehr gern als etwas ausführlicheres Choralvorspiel. Denn mit fröhlich hingetupften Staccato-Skalen und pianistischen Schüttelfiguren drückt Führer das „freu dich“ sehr nachvollziehbar aus.
„Süddeutsche Orgelmusik zur Weihnacht aus dem 16.-18. Jh.“ heißt ein von Rudolf Walter bei Coppenrath herausgegebenes Heft. Da gibt’s u.a. von Pachelbel die bekannte F-Dur-“Pastoral“-Toccata mit ihren hübschen Echopassagen und das Choralvorspiel über „Vom Himmel hoch“ (mit Pedal-c.f.), erfreulicherweise ins Gesangbuch-C-Dur transponiert und damit tauglich für den liturgischen Einsatz. Außerdem finden sich kleinere polyphone Sachen von Alessandro Poglietti, Joh. Caspar Ferd. Fischer und Franz Xaver Murschhauser (ein Münchener Domorganist des frühen 18. Jh.). Alles nicht sonderlich schwer, alles gut klingend. Der Pedalpart beschränkt sich überwiegend auf Orgelpunkte. Leichte Spielbarkeit ohne qualitative Abstriche war erkennbar das Editionskonzept. Und es ist durchaus aufgegangen.
Der langjährige Organist der Abtei Weingarten, P. Gregor Klaus, hat lebenslang in den Bibliotheken der südd. Klöster die Notennachlässe seiner komponierenden Amtsbrüder und Vorgänger durchstöbert. Aus einer Ottobeurener Handschrift von 1695 stammen die Variationszyklen, die Klaus unter dem Titel „Weihnachtliche Orgelmusik der Barockzeit“ bei Böhm & Sohn in Augsburg verlegt hat. Das Heft enthält vier Stücke von Anton Estendorffer und Georg Muffat, allesamt in Partitenform und wohl ausdrücklich dazu bestimmt, der versammelten Christmettengemeinde während längerer „liturgischer Geländespiele“ des Klerus die Klangfarben der vielmanualigen und registerreichen Abteiorgeln vorzuführen. Die Stücke gehen ebenfalls kaum über die „Schwierigkeiten“ des vierstimmigen Choralsatzes hinaus. Aber sie erfordern eine sorgfältig ausgetüftelte Klangregie. Dann aber ist die Wirkung - gemessen am Aufwand - eine enorme.
Etwas in die Jahre gekommen, aber immer noch recht brauchbar ist Traugott Fedktes Band „Weihnachtliche Barockmusik - Variationen über Weihnachtslieder“, bei Peters als Nr. 8468 erschienen. Er enthält beste mitteldeutsch-barocke Literatur: G.F. Kauffmanns vier Variationen über „Nun komm, der Heiden Heiland“, „Gelobt seist du, Jesus Christ“ von Georg Böhm (Partita mit 5 Variationen), drei Bearbeitungen von F.W. Zachow über „Vom Himmel hoch“, 8 Variationen über „Lobt Gott ihr Christen allzugleich“ von Joh. Gottfr. Walther und - für Kindergottesdienste und kindlich gebliebene Gemüter - 18(!) Variationen in „galantem Stil“ über „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ von Johann Christoph Friedrich Bach (dem „Bückeburger Bach“). Diese Sammlung ist also so etwas wie das norddeutsch-protestantische Gegenstück zum Heft von Gregor Klaus.
Kleines Manko: Bis auf „Vom Himmel hoch“ steht alles in den alten (höheren) Tonarten. Aber die Walther-Vorspiele gibt es in Auszügen in den einschlägigen Vorspielsammlungen zum EG (Breitkopf, Bärenreiter) in F oder sogar Es-Dur notiert. In der frz. Literatur hat die Komposition von Weihnachtsmusiken - sog. Noels - eine lange Tradition. Ihren Platz haben diese Stücke im kath. Gottesdienst Frankreichs übrigens als Musik zur Gabenbereitung (als „Offertoire“).
Als Prototypen des Genres gelten die Noels von Louis-Claude Daquin. Die am leichtesten greifbare praktische Ausgabe stammt von Aléxandre Guilmant (Er hat sich schon vor mehr als 100 Jahren um die Neuedition von Barockmusik verdient gemacht - als das Barock noch als „Zopfzeitalter“ galt!) und ist erschienen bei Schott unter der Nummer ED 1875. Der Untertitel „pour l’orgue et le clavecin“ sagt bereits aus, daß es sich überwiegend um - in Partiten-Form gegossene - manualiter-Literatur handelt. Das übersichtliche Notenbild täuscht. Zwar sind die Piècen nicht wirklich schwer zu spielen. Aber sie erfordern eine souveräne Beherrschung der diffizilen barock-französischen Ornamentik. Der deutsche „Reichseinheitstriller“ reicht nicht aus, um die Stücke lebendig und farbig zu gestalten. Auch um die typischen Spielgewohnheiten der Zeit und des Landes sollte der Interpret wissen (inegalié etc.). Außerdem muß die Orgel natürlich die vom Komponisten geforderten Farben hergeben. Sie ist also im Idealfall französisch (barock) inspiriert. Die mageren dt. Krummhörner sollte man in der l.H. mit einem 4’-Prinzipal verstärken und pseudo-neo-barocke „Meckertrompeten“ mit der 4’-Oktave des Hw „aufpolieren“. (Vorheriges Reinstimmen ist dringend anzuraten - sonst kommt man in den fragwürdigen Genuß einer „Trompetenschwebung 8’/4’“ - bei Nobelorgeln heißt das dann „tromba suspirans“).
Einen Tick besser gefallen mir persönlich die Noels von Jean-Francois Dandrieu. Sie sind zwar ähnlich gestrickt, haben die gleichen thematischen Vorlagen, aber ich finde sie durchweg origineller und technisch etwas fordernder - sonore Zungen und farbenreiche Aliquoten sind auch hier die halbe Miete. Ich habe diese witzigen, vor Spielfreude sprühenden Stücke gern bei Orgelvorführungen verwendet. Es gibt sie in vier Heften (Heft 12, 16, 19 und 22) in der Reihe „L’organiste liturgique“ der „Editions musicales de la schola cantorum“, Paris. Dieser Verlag ist längst untergegangen, aber das Sortiment wurde m.W. von einem Schweizer Verlag übernommen. Meine Exemplare habe ich seinerzeit über „pro Organo“ in Leutkirch bezogen. Aber ich denke, daß auch andere Auslieferungen (z.B. mmz, Musia, Bodensee-Musikversand) sie besorgen können.
Eine komplette Orgelmesse über „Noel“-Themen gibt es von Aléxandre P.F. Boely. Ewald Kooiman hat sie als Heft 16 der Reihe „Incognita Organo“ bei „Harmonia Uitgave“ in Hilversum veröffentlicht. Boely weiß sich als Frühromantiker noch den barocken Formen verpflichtet, gießt in diese Formen aber schon viel romantische Harmonik und Würze. Der klassisch-französische Registerbestand genügt zur klangschönen Wiedergabe. Denn Boely kennt noch kein Schwellwerk (!!). Auch technisch sind die Stücke für nebenamtliche Organisten durchaus mit vertretbarem Übeufwand zu machen. Und ein paar „Ohrwurm“-Themen enthalten sie allemal.
Die „Noel“-Kompositionen der frz. Hoch- und Spätromantiker kommen durchweg aus der konzertanten Tradition. Sie sind nahezu allesamt als Virtuosenliteratur konzipiert (Dupré!). Einzig Aléxandre Guilmant geht in seinen beiden „Noel“-Bänden op. 60 bei Schott (ED 7346 und 7347) etwas auf Augenhöhe mit dem „Normalorganisten“. Das Ergebnis sind Zyklen von Stücken, die einfach bezaubernd klingen. Die Orgel muß nicht einmal „Cavaillé-Coll“ sein - oder das, was die Experten heute dafür halten. Es genügt, wenn sie tragfähige Grundstimmen, ein wirksames Schwellwerk mit einer schönen Oboe 8’ und eine Streicherschwebung hat. Aber Vorsicht - Guilmant kann seine Profession und Professionalität nicht leugnen. Bisweilen birgt das so harmlos aussehende Notenbild gut getarnte fuß- und fingersatztechnische Fallgruben. Also vorher das Terrain sorgfältig erkunden - sonst ist der Einbruch vorprogrammiert!
Für mich ist erst dann Weihnachten, wenn in der Christvesper „Es ist ein Ros’ entsprungen“ gesungen wurde und ich zum Schlusse derselben JSBs Es-Dur-Präludium gespielt habe. Im vergangenen Jahr habe ich mit dieser Tradition zum zweiten Mal in 40 Organistenjahren gebrochen. Schuld daran war eine Neuerscheinung: die „Toccata im romantischen Stil über ‘Tochter Zion’“ des Zeitgenossen Willem van Twillert.
Van Twillert hat eine faszinierende Stilkopie einer französisch-sinfonischen Toccata in der Traditionslinie Gigout - Boellmann - Dubois geschrieben. Gebrochene 16-tel-Figuration in der r.H., in die Spitzentöne das markante Händel-Thema eingearbeitet, in der l.H. skandierende Akkordschläge in Achteln, (zum Glück) eine ruhige, das Kopfmotiv imitierende Pedalbewegung, ein spannungsvoller Modulationsplan, ein etwas zurückgenommener Mittelteil, hymnischer Schluß und brillante Coda - van Twillert hat alles aufgeboten, was das Genre hergibt. Herausgekommen ist eine sprühende weihnachtliche „Wunderkerze“. Allerdings muß man das Stück wirklich üben - die technischen Anforderungen entsprechen im Manualpart durchaus denen eines Allegrosatzes in Bachs Triosonaten. Hinzu kommt, daß beide Hände - wie in der frz. Sinfonik üblich - sehr hoch geführt werden. Also nur was für Leute mit sehr solider Basistechnik - wenn’s denn wirklich Freude machen soll. Vor der Reprise hat der Komponist dankenswerterweise eine Abbruchkadenz eingebaut. Aber wenn entsprechend feurig gespielt wird, hören die Leute gern bis zum Schluß zu. Erschienen ist das Werk bei Butz, St. Augustin, als BU 1891.
Butz hat überhaupt ein stattliches Sortiment mit origineller weihnachtlicher Orgelmusik. So z.B. ein Heft mit Kompositionen des Spätromantikers Carl Sattler, ein „Weihnachtsalbum für Orgel“, erschienen als BU 1819. Sattler ist ein Meister der romantischen c.f.-Bearbeitung und hat ein feines Gespür für Stimmungen. Die fünf Stücke verarbeiten die Lieder „Ihr Hirten erwacht“ (2x), „Heiligste Nacht“, Adeste fideles“ und „Es ist ein Ros’ entsprungen“ - durchweg in Variationsform. Am gewichtigsten ist die „Adeste fideles“-Bearbeitung: Markige Introduktion im Stil Mendelssohns, vier c.f.-Durchführungen, Fuge im Kanzonentypus, hymnischer Schlußchoral mit durchgehender 16tel-Bewegung im Pedal. Sattler muß über eine exzellente Pedaltechnik verfügt haben. Als gelernter Dupré-Techniker habe ich ganz schön geschwitzt, bis ich die letzten 24 Takte im Ped. „legatissimo e prestissimo“ hingekriegt habe. Leider ist die Ausgangs- und Schlußtonart A-Dur. Ein Tönchen tiefer wäre der gottesdienstlichen Praxis entgegengekommen. (Eine Variation steht in F. Die habe ich dann - Notensatzprogramm „Finale“ sei Dank - in den Rechner gespielt, per Mausklick nach G transponiert und als Choralvorspiel verwendet.) Eine schöne und flüssig strömende Fuge beendet auch die vier Variationen über „Es ist ein Ros“ - leider in G! Zum Einspielen und Transponieren nach F war ich bisher zu faul.
In manchen kath. Gemeinden ist nur Weihnachten, wenn der Kirchenchor Joseph Schnabels „Transeamus usque Bethlehem“ gesungen hat. (Ein kath. Kollege hat mir erzählt, er müsse beim wundervollen Einleitungssolo der Männerstimmen seine Soprane immer mit strengem Blick fixieren, weil die sonst hörbar mitsummen.) Herbert Paulmichl hat just dieses Motiv zur Vorlage von sechs Orgelvariationen genommen. Herausgekommen ist eine in konventioneller polyphoner Tonsprache gehaltene Partita, die alle Qualitäten von Paulmichls Orgelstil trägt: Durchsichtigkeit, Wohlklang und relativ leichte Ausführbarkeit. Uns Lutherischen ist der Komponist entgegengekommen, indem er in die Ouvertüre und in die Schlußfuge „Vom Himmel hoch“ als Gegenthema eingeführt hat - eine heitere, festliche Spielmusik, mit deren einzelnen Teilen man einen kompletten Gottesdienst gestalten kann, ohne daß Langeweile aufkommt. Denn Paulmichl gewinnt dem Thema in jedem Satz einen neuen Ausdruck ab und stellt es in einen anderen kontrapunktischen Kontext. Das Stück eignet sich gut für weihnachtliche Konzerte. Die programmatischen Titel der einzelnen Teile sind dem Hörer sehr leicht zu vermitteln. Ach so, fast hätt’ ich’s vergessen: erschienen bei Butz, BU 1196.
Hermann Schroeder galt in meinen Orgelsäuglings-Jahren als der „moderne“ Orgelkomponist schlechthin (neben Ahrens, Pepping, Distler). Er war ein Studienfreund meines ersten Orgellehrers und ich habe ihn als Schüler öfter „live“ gehört. Und da wirkte seine Musik - auf einer entsprechend groß dimensionierten Orgel in einem halligen Raum - sehr apart. Schroeder war ein begnadeter liturgischer Improvisator. Die „zwölf Orgelchoräle“, erschienen bei Schwann/Peters als S 2360, wirken allesamt wie aufgeschriebene und ausgearbeitete Improvisationen im typischen Schroeder-Stil: konsequente Linearität, ohne „gesuchte“ Dissonanz und Vorliebe für Quartparallelen - typische „Schroeders“ - ohne die Kantigkeit und Schroffheit, die manche seiner größeren Werke prägen. Bei aller Modernität bleibt hörbar Weihnachten. Ich habe z.B. bereits öfter das „Schlummerlied der Hirten“ mit Gedeckt 8’ und als Epistelmusik gespielt, ohne daß mein harmonieverwöhntes Publikum darob gezuckt hat, statt in Verzückung zu geraten. Ein halbwegs versierter Organist spielt das ganze Heft vom Blatt. Denn Schroeder war Praktiker genug, in die Finger zu komponieren. Die anderen müssen halt üben - und das nicht allzu heftig.
Noch etwas moderner kommen „Meditation und Variationen über O du fröhliche“ meines Lehrmeisters Franz Lehrndorfer daher. Lehrndorfer arbeitet schon etwas stärker mit Sekundreibungen und harmonischen Ausweitungen. Aber es bleibt immer „fröhlich“ - und nicht sonderlich schwer, wenn sich die Finger an ein paar harmonisch gewagte Griffe gewöhnt haben. Lehrndorfer plaudert munter aus dem Nähkästchen seiner Improvisationstechniken und zeigt, „wie man’s macht“. Erschienen ist das Heft im Jubilate-Verlag, Eichstätt, Verlagsnummer RM 1001.
Wer noch ein richtig großes Weihnachtsstück sucht, ohne sich wochenlang ins Trainingslager zurückziehen zu wollen, dem rate ich zu Max Drischners Choralfantasie „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Ein flüssiges, fugiertes Präludium über die Kopfzeile lebt vom Kontrast zweier (noch besser dreier) Manualplena. Der Mittelteil ist eine Pastorale mit eingebettetem Choral (Registriervorschrift: „Vox humana“ - akkordisch - also ein fast französisch-sinfonischer Effekt. Immerhin schreib Drischner das Werk für seine Orgel in Brieg, ein dreimanualiges Instrument des schlesischen Barockorgelbauers Engler.) Zum Schluß ein locker gebauter Konzertsatz, an dem man etwas üben muß, weil er ein straffes Tempo braucht und der c.f. in Diskant-Oktaven legatissimo über dem Gewühl der Figuration stehen muß. Einzige rhythmische Schwierigkeit sind Diskant-Triolen gegen Pedal-Duolen in den Schlußtakten. Ein sehr wirkungsvolles, handwerklich solides Stück, erschienen bei Schultheiß, Tübingen, dessen Sortiment auf Thomi-Berg übergegangen ist. Mein Exemplar habe ich über „pro organo“, Leutkirch, bezogen. Die sind für die Raritätensuche immer gut - aber leisten sich schwäbisch-sparsam einfach keinen Internetauftritt.
Andreas Rockstroh hat bei Butz eine Reihe mit romantischen Choralvorspielen und Bearbeitungen zu den bekanntesten Advents- und Weihnachtschorälen herausgegeben. Bisher sind folgende Titel erschienen:
1.) Macht hoch die Tür/Es ist ein Ros’ entsprungen BU 1760
2.) Tochter Zion/Stille Nacht BU 1640
3.) Vom Himmel hoch, da komm’ ich her BU 1815
4.) Wachet auf, ruft uns die Stimme/In dulci jubilo BU 1876
5) O Sanctissima (O du fröhliche) BU 1587
Offenbar hat der Herausgeber Zugriff auf einen riesigen Fundus von Sammlungen der Jahrhundertwende - und er hat einen ausgezeichneten Riecher für die Trüffel aus diesen Anthologien. Jeder Band enthält jeweils um die 20 Bearbeitungen der genannten Choräle. Und da ist für jeden Spieler und jeden Anlaß etwas dabei: Von der „vom-Blatt“-Intonation mit 16 Takten bis zur mehrseitigen „Konzertfantasie“ à la Reger oder Karg-Elert. Das Autorenverzeichnis belegt, daß „unbekannt“ nicht gleich „unbedeutend“ sein muß. In der Zeit zwischen 1870 und 1930 ist in Deutschland wohl mehr handwerklich solide, bisweilen wirklich originelle Orgelmusik komponiert worden als bisher angenommen. Die große Mehrzahl der Stücke dürfte in keiner anderen modernen Ausgabe am Markt sein - und wenn, dann nicht in der EG- oder GL-Tonart. Aber auch daran hat Rockstroh gedacht: Viele Praktiker haben nicht mitgemacht beim „Tieferlegen“ mancher Weihnachtschoräle von F nach Es oder von D nach C und spielen weiter aus den alten Choralbüchern. (Alter Szene-Kalauer: Was haben das neue EG und ein Opel Manta gemeinsam? Beide sind tiefergelegt - doch gebracht hat es nichts. ) Sie finden Stücke in „alter“ und „neuer“ Tonart. Bd. II bietet z.B. „Tochter Zion“-Bearbeitungen in D, Es, F und G an. Man kann also seine Introduktion jeder Gemeinde und jedem Chor anpassen. Mir machen die fünf Bände seit Jahren Freude. Ich finde immer noch etwas, um meine Gemeinde damit (angenehm) zu überraschen. Und ich hoffe, daß der Herausgeber weiter nach Trüffeln schnüffelt. Übrigens ist auch das Preis-Leistungsverhältnis - im Vergleich zu anderen Verlagen - äußerst stimmig. Da nehme ich gern in Kauf, daß die relativ dicken Bände nur Klammerheftung und einen recht dünnen Deckel haben - und man einigen Notensatzspiegeln ansieht, daß sie etwas gestaucht wurden, damit sie noch auf die Seite passen.
Rockstroh zeichnet auch für die Neuausgabe von „Vier Weihnachts-Festfantasien op. 104“ des ostpreußisch-schlesischen Spätromantikers Max Gulbins bei Butz verantwortlich (BU 1598). Kleine Zwischenbemerkung: Ich werde nicht von diesem Verlag „geschmiert“ . Aber in puncto Weihnachtsmusik haben die einfach ein Sortiment, das meinem Geschmack und meinem Suchtrieb nach Originellem sehr entgegenkommt. Ende der Zwischenbemerkung. Der Schwierigkeitsgrad der vier Fantasien ist sehr unterschiedlich: „Vom Himmel hoch“ ist ein breit strömendes Präludium im Stil Mendelssohns und mit wenig Aufwand zu machen. „Stille Nacht“ ist eine ruhige Pastorale, die von weichen Farben und einer schönen Soloflöte lebt - sie macht kaum Mühe. Bei „O du fröhliche“ geht es schon etwas zur Sache. Die Fingersätze für die durchlaufenden Sext- und Terzparallelen in der l.H. wollen mit Sorgfalt erarbeitet sein, denn sie müssen in sauberstem Legato und in flüssigen 16teln perlen. Der „feierliche Marsch“ über „Tochter Zion“ schließlich sieht im Notenbild nicht nur aus wie Reger oder Karg-Elert, er erreicht auch durchaus diesen Schwierigkeitsgrad. Dafür macht er aber enorm was daher und ist nicht allzu lang (so um die vier Minuten).
Wem Bachs Pastorale zu „abgenutzt“, die gleichnamigen Opera anderer Meister zu „terzenselig“ sind, dem rate ich zu den „Drei Pastoralen über Weihnachts-Choräle op 7“ von Alfred Grundmann (1857 - 1939) als Reprint der Originalausgabe erschienen - na, wo wohl - richtig, bei Butz (BU 1391). Harmonisch und motivisch geht es in den Bearbeitungen von „In dulci jubilo“, „Vom Himmel hoch“ und „Quem pastores laudavere“ („Den die Hirten lobeten sehre“) ganz schön zur Sache. Dennoch hält sich der Übeaufwand in Grenzen. Allein schon wegen der alten Tonarten sind die Stücke reine Sololiteratur - von der Sorte, bei der die Gemeinde garantiert aufhorcht, wenn man die harmonischen „Überraschungseier“ der Partitur in entsprechend gepolsterte „Klangnester“ legt.
Um nicht vollends meinen schlechten Ruf zu verderben, hier der Beweis, daß es auch andere Verlage gibt. Herbert Paulmichl, bestens ausgewiesen als gewiefter Praktiker, hat bei Böhm & Sohn, Augsburg, eine schöne Partita über „Als ich bei meinen Schafen wacht’“ veröffentlicht. Und er hat als Zugabe einen wohlklingenden und effektvollen Chorsatz fürs „Alternatim“-Musizieren draufgesattelt. Paulmichls Vorliebe für kanonische Formen und c.f.-Durchführungen in den Mittelstimmen feiert (im wahren Wortsinn) fröhliche Urständ’. Musik zum Zurücklehnen, Zuhören und Schönfinden, sogar der Organist darf sich entspannen. Denn die kurzen Sätze sind nicht übermäßig schwierig.
Wenn wir schon bei Paulmichl sind - hier noch eine Partita über „O du fröhliche“ . Es gibt sie - wieder mal - bei Butz (BU 1014). Die zehn Variationen sind leichtest und auf allem zu machen, was Tasten hat. Sogar das Pedal ist entbehrlich. Und bei aller Einfachheit ist es trotzdem richtig schöne, handwerklich solide, verspielte weihnachtliche Musik.
Paulmichl hat ja jede Menge Arbeiten zum kath. GL veröffentlicht, und zwar gleich mehrbändig in drei Verlagen: bei Doblinger/München-Wien, Butz/Sankt Augustin und pro Organo/Leutkirch. „Orgelbüchlein“ nennt sich die auf 9 Hefte angewachsene Sammlung bei Doblinger. Die Hefte 1 (02361) und 9 (02404) enthalten Vorspiele zu Advent- und Weihnachtsliedern. Ich finde, es sind Paulmichls stimmigste Beiträge zum Genre Choralvorspiel. Da spürt man - neben allem handwerklichem Können - auch etwas „Herzblut“. Und Paulmichl hat sich als langjähriger Orgellehrer in „einfachen Verhältnissen“ auch ein Herz für die Kollegen bewahrt, die nicht über die „kleine Eignungsprüfung“ hinausgekommen sind. Er liefert ihnen stimmige, freudige, niemals seichte oder sentimentale Weihnachtsmusik. Beispiel: drei Partiten über „Vom Himmel hoch“ in Heft 1. Da wird das Thema zeilenweise in einer Pedalsolo-16tel-Figur versteckt, dann jeweils von einem vollgriffigen Akkordsatz abgelöst. Das klingt - mit einem brillanten, festlich gestimmten Orgelplenum - nach richtig „großer“ Orgelmusik - und ist dabei wirklich einfach. (Als jemand, der selber gelegentlich ein paar Gedanken zu Chorälen zu Papier (resp. zu Mac) bringt, ziehe ich den Hut bis auf den Boden und sage: Respekt! So einfach zu schreiben, ist alles andere als einfach.) Dann kommt eine Pastorale in wiegendem 6/4-Takt mit c.f. im Tenor. Und zum Schluß läuft der c.f. als Oktavkanon in Baß und Diskant gegen einen Kontrapunkt aus munteren Triolen in der l.H. Und das alles ist spielbar für jemanden, der die Begleitsätze aus dem Choralbuch hinkriegt! Heft 9 griff wohl die Weihnachtsthematik wieder auf, weil es erhebliche Nachfrage gab. Daraus sei die Trias über „Nun freut euch, ihr Christen“ (für Lutherische: „Herbei, o ihr Gläub’gen“) hervorgehoben: Einleitendes Trio mit c.f. in der Mittelstimme, Pastorale mit verspielten Echos, vierstimmiges „Wiegenlied“ mit c.f. im Tenor.
Bei Butz heißt die Paulmichl-Reihe „Das liturgische Jahr“ und die Advents- und Weihnachtsstücke stehen im Heft 1 (BU1119). Dem Vorwort zufolge handelt es sich um Studien, die aus der Unterrichtspraxis am Bozener Konservatorium erwachsen sind. Das ist an einigen Stellen zu spüren. Denn mancher Kontrapunkt ist vom Regelwerk „an die Leine gelegt“. Und die zweistimmigen Bicinien sind z.T. spieltechnisch schwieriger als Dreistimmiges aus den Doblinger-Heften. Dennoch enthält das Heft ein paar wirklich nette Sachen, u.a. ein anmutiges Trio über „Es ist ein Ros’ entsprungen“ - leider „tiefergelegt“ nach Es-Dur. Ich hab’s für meinen eigenen Gebrauch nach F „erhoben“, weil es einfach ein traumhaft schönes Vor- oder Nachspiel zum einschlägigen Prätorius-Chorsatz abgibt.
Von Paulmichls pro-Organo-Heften besitze ich nur Heft 4, Advent/Weihnachten ist in Heft 1. Aber ich gehe mal davon aus, daß der Maestro Compositore da seiner Linie treu geblieben ist. Die Reihe hat übrigens ein mustergültiges Notenbild: groß, übersichtlich und mit ausgezeichneter Proportionalteilung der Notenzwischenräume (schlechte Spationierung ist das häufigste Manko in PC-Notensatzprogrammen).
Gerade betritt meine angetraute Traumfrau mein Arbeitszimmer (ich verbrate mal wieder ein winziges Stückchen des Überstunden-Berges) und hat ein dickes Päckchen in Händen. Ratet mal, was da drin ist: Falsch! Es ist nicht die fünfte Nachlieferung der Ausführungsverordnung zum 27. Nachtrag des hessischen Landesgesetzes über den Urheberrechtsschutz von Satzzeichen in Druckwerken der Trivialbelletristik (vulgo: „Drehbücher“), sondern - was niemand vermutet hätte - Orgelnoten.
Ich habe mir - einfach auf gut Glück - mal eine Neuerscheinung bestellt: Johann Valentin Müller (weder verwandt noch verschwägert mit dem gleichnamigen Joghurt-Großerzeuger aus dem Allgäu): „Fantasie über das Thema aus Händels ‘Judas Maccabäus’ für Orgel, op 5.“ hg. von Andreas Rockstroh bei Butz, BU 1920.
Müller (1830 - 1905) war lt. Vorwort u.a. Kompositionslehrer am Frankfurter Konservatorium und in reiferen Jahren Organist in Rom. Die Fantasie ist dem „bayerischen ev. Orgelpapst“ des ausgehenden 19. Jh., J.G. Herzog, gewidmet. Introduktion und Thema kommen sehr konventionell und bieder daher. Sauberes Handwerk ohne allzu großen technischen Anspruch - auf die hand- und fußwerklich fortgeschritteneren und ambitionierten „Lehrerorganisten“ des 19. Jh. in Landstädten zugeschnitten. Die folgenden fünf Variationen sind überraschender-weise aber keine strengen c.f.-Arbeiten, sondern „Charaktervariationen“ im Beethoven’schen Sinn mit entsprechender motivischer Entfaltung und Modifikation des Themas - triolische Auflösung, Verwendung von Motivfragmenten, Wechsel in die Mollparallele etc. Das hat zwar alles nichts so recht mit „freue Dich“ zu tun, ist aber immerhin gut gemacht und gut klingend. Die knappe vierstimmige Schlußfuge ist ebenfalls solide gemacht, im Pedal ist das Thema etwas sperrig. Mit der damals weitverbreiteten deutschen „Spitzen-Trampeltechnik“ auf Flachpedal (noch in den Schulen von Schildknecht und Kaller gelehrt) mußten die armen Schulmeister sich ganz schön plagen, um das ordentlich hinzukriegen. Auf einem modernen BDO-Normpedal und unter Gebrauch der Absätze geht es mühelos. Etwas unvermittelt - und etwas früh - setzt der hymnische Schluß ein. Mir wäre da spontan eine Themenspiegelung - dreistimmig auf dem Nebenmanual - eingefallen, nach derselben eine Reprise auf dem Hw, und dann alle vorhandenen Briketts zum Finale nachgeschürt. Mein spontaner Gedanke: eine nette Abendmahlsmusik am zweiten Weihnachtsfeiertag.
Gerade entnehme ich einem beiliegenden Werbeblatt, daß es zu Herbert Paulmichls w.o. beschriebener „O du fröhliche“-Partita (BU 1014) eine Fortsetzung gibt (BU 1015). Ich vermute mal, in identischem Strickmuster und Schwierigkeitsgrad.
Zwei weitere dicke Hefte von Butz werden mir wohl in Zukunft einige Wühlarbeit im Notenarchiv ersparen. „Ein Kind ist uns geboren - Orgelmusik für die Advents- und Weihnachtszeit aus dem 19. bis zum 20 Jh.“, hg. von Dr. Wolfgang Bretschneider als BU 1397, bietet auf 95 Seiten 40 sorgfältig ausgewählte Titel, die man sich sonst aus mindestens 20 Einzel- und Gesamtausgaben zusammensuchen müßte - wenn sie überhaupt am Markt sind. Nur ein paar Auszüge auf die Schnelle: Ein Marsch von Aléxandre Guilmant über Händels „Hoch tu Euch auf ihr Tore der Welt“ aus dem Messias; lebhafte Fuge in f-moll im Mittelteil, mit eingearbeitetem Motiv; am Schluß sehr vollgriffig; ein sich von pastoraler Stille zu ungemeiner Rasanz entwickelndes Konzertstück, das geübt sein will. Ein paar kleinere Regers aus op 67 - „Wachet auf“, „Vom Himmel hoch“, Wie schön leuchtet der Morgenstern“ und - aus op. 145 - „Weihnachten“. (Mann, war ich stolz und happy, als ich das vor gut 35 Jahren zum ersten Mal gespielt habe! Mein Hörervolk war weniger enthusiasmiert. Es wartete darauf, daß zum Schluß der Christvesper die spanische Zungenbatterie mit JSB, Es-Dur-Präludium, zuschlägt.)
Dann die üblichen Sachen aus den verbreiteten Choralvorspielbänden - Walther, Zachow, Buxtehude, Böhm - aber vom Herausgeber bewußt als „Literatur“ verstanden und deshalb in den (durchweg höheren) Originaltonarten. Eine schöne Erweiterung des barocken Repertoires: einige Choralbearbeitungen des Darmstädter Kapellmeisters Christoph Graupner, vom Hg. aus Kantatensätzen für Orgel bearbeitet - im Stil der Bach’schen Schübler-Choräle, aber längst nicht so schwierig. Zum Schluß noch ein Schmankerl: eine Orgelbearbeitung von Händels „Denn es ist uns ein Kind geboren“ von Henry Smart; nur was für geländegängige Hände, aber very british. Ich wage zu befürchten, daß die Leute, die sich an Weihnachten in einen Gottesdienst verlaufen, welchen ich beorgle, sich das „in praeludio“ anhören müssen ... Ich finde die Sammlung sehr gelungen, auch wenn ich erst schnell mal über einige Stücke drübergespielt habe.
Der zweite Band (BU 1703) konzentriert sich auf Bearbeitungen der Romantik. Da Romantik ja gerade „angesagt“ ist, tun sich die Herausgeber von Sammlungen mit der Raritätenfindung da schon etwas schwerer. Einige Choralvosrpiele von Oechsler, Grundmann, Lang, Forchhammer, findet man auch in den „halboffiziellen“ Sammlungen zum EG, - in den „angepaßten“ Tonarten. Aber es findet sich durchaus Originelles - so z.B. „Venite Adoremus“ von L. J. Lefébure-Wely, ein dreiteiliger Variationszyklus über das bekannte „Herbei, o ihr Gläub’gen“ in des Meisters populärem und eingängigem „Salonorgel-Stil“. Das selbe Thema liegt einem technisch und inhaltlich etwas anspruchsvolleren Guilmant-Offertoire aus dessen op. 60 zugrunde. Eine wirkliche Repertoire-Bereicherung ist mal wieder eine Orgelbearbeitung des Herausgebers: Bretschneider hat aus dem Orchesterpart eines „Weihnachtssingens der Augsburger Singschule“ von Otto Jochum und Albert Greiner ein sehr stimmungsvolles Vorspiel über „Stille Nacht“ arrangiert. Um der Praxistauglichkeit willen gehörte es allerdings nach B-Dur transponiert. Denn die „Ruh“ ist alles andere als „himmlisch“, wenn der weibliche Teil der Gemeinde sich im C-Dur-Begleitsatz nach dem hohen F strecken muß (die Männer haben schon beim D aufgegeben). Wenn man bedenkt, daß beide Bände zusammen keine 50 Euro kosten und man dafür fast 200 Seiten mit ca. 70 mit moderatem Aufwand machbaren weihnachtlichen Stücken aus allen wesentlichen Stilepochen kriegt, dann ist allein das Preis-Leistungverhältnis ein äußerst stimmiges. Ich werde mir die beiden prallen Hefte wohl fest einbinden lassen, Denn ich denke, daß sie in den kommenden Jahren zum jeweiligen Ende derselben ärger strapaziert werden.
„Forty Christmas Preludes for Organ“, erschienen bei Kevin Mayhew, ISBN 0-86209-567-0. Mit viel Klangsinn gemachte Bearbeitungen angelsächsischer „Carols“ von den aus anderen Mayhew-Bänden bekannten „Hauskomponisen“ des Verlages. Da die meisten Choräle nicht in deutschen Gesangbüchern stehen, sind die Stücke - selten länger als eine Doppelseite - sehr gut als „Literatur“ zu verwenden, die sonst garantiert kein Kollege im Radius von 50 Kilometern im Repertoire hat. Stilistisch gibt es von Barock-Stilkopien und c.f.Bearbeitungen im Trio oder Quattuor über spätromantische Klangschwelgereien bis zu behutsam gesetzten Modernismen eine immense Bandreite - also für jeden Geschmack und (fast) jede Orgel was dabei. Das meiste ist nicht schwer zu spielen und beim Rest lohnt die Mühe des Übens. Die ideale Orgel braucht satte Grundstimmen, weiche Flöten und mindestens eine schöne Solozunge für die allfälligen Tenordurchführungen.
Dasselbe gilt auch für den Mayhew-Band „Christmas Preludes“, ISBN 1-84003-625-7, mit 48 Choralbearbeitungen identischen Strickmusters. Darunter eine bezaubernde Meditation über „Stille Nacht“, um das meine drei Heiligabend-Gemeinden nicht umhin kommen werden, wenn die hohe Geistlichkeit sich dazu durchringen kann, diesen umstrittenen Cantus singen zu lassen. (In einer bestimmten Generation der ev. Pfarrerschaft - und in der mit dem Geburtsdatum zusammenhängenden theologischen Prägung - gilt das Lied immer noch als textliche und melodische Katastrophe. Was es ja auch ist, mit messerscharfer fundamentaltheologischer und musikwissenschaftlicher Ratio betrachtet. Aber das sind Denkkategorien, die dem weihnachtlich gestimmten „Gelegenheitstäter“ - und er ist in diesen Gottesdiensten in der Überzahl - weitgehend abgehen. Und mir steht es nicht an, ihn im einzigen - oder in einem der wenigen - Gottesdienste, die er im Jahreslauf besucht, zu schulmeistern.) Zurück zu besagtem Stück: farbige Harmonik, ein kleines Fest für die Streicherschwebung, über der eine perlende Soloflöte (aber bitte mit Sahne, bzw. Tremulant!) ihre Tongirlanden tiriliert. Und wer da glaubt, Blut, Schweiß und Tränen investieren zu müssen, der irrt gewaltig. Das Stück geht vom Blatt. Positivst aufgefallen ist mir auch eine wohklingende, farbige Bearbeitung über „Adeste fideles“ - eine weich wiegende Pastorale mit Bicinium für prickelnde 8’+1’-Mischung im Mittelteil.
Last, not least: Beide Bände zeichnen sich durch ein ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis aus (knapp 25 Euro pro Stück). Die spezialisierten Internet-Musikalienhandlungen haben eigentlich kaum noch Mühe, die Noten über den Kanal zu schaffen.