Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche
- St Mary-le-Bow/Tickell - Lavender Audio
- Haverhill/Binns - Lavender Audio
- Billerbeck/Fleiter (Inh. Hilse) - Sonus paradisi
- Bückeburg/Janke (kostenfreie Version/Diffuse u. Rear) - Sonus paradisi
- Oakland/Aeolian-Skinner (extended by Jake) - Sonus paradisi
Zwei Orgelset-Favoriten - auch aus biographischen Gründen
Die "zwei B" wären meine Ad-hoc-Favoriten: Billerbeck und
Bückeburg. Die beiden technisch weithin untadeligen Sets finde ich aus biographischen
Gründen hoch interessant. 1892 wurde meine Heimatkirche St. Pankratius zu
Bockum-Hövel (Hamm) ebenso wie der Billerbecker Dom von ein und demselben
Architekten, nämlich Wilhelm Rincklake auf den Weg gebracht. Architektonisch
ist das sehr gut zu sehen. Leider ließ der Zweite Weltkrieg von diesem
Klein-Billerbeck nur den hohen schlanken Turm übrig. Der Kirchbau beherbergte
bis zur Zerstörung ebenfalls eine Orgel der Firma Fleiter, deren Produkte im
Bistum Münster naheliegenderweise sehr verbreitet waren und sind. Zu Bückeburg pflege
ich hingegen eine aktuellere Beziehung: Ein gewisser Luxus vergönnt es mir, in
diesem ostwestfälischen Distrikt häufig meine Freizeit verbringen zu
dürfen. Ergo: Beide Orte mit ihren realen Orgeln spielen in meinem Leben eine gewachsene Rolle. Mein virtueller Eskapismus
besitzt also eine gewisse Bodenständigkeit. Hinzu gesellt sich die
Feststellung, dass Entscheidungen (Kauf, Aufnahme etc.) für oder gegen
eine Klangbibliothek immer eine Mixtur aus Subjektivem und Rationalem
darstellen. Zuweilen wird in mancherlei Foren ein anderer Eindruck zu
erwecken versucht.
Abseits von HW 4.2 oder 6: Erste Sondierungen im Diffuse vs. Rear
Nun gut, das Experimentieren mit HW 6 ist recht
zeitäufwändig. Übrigens braucht man auch schon sehr feine Fingerchen, wenn man
Befehle per Touch eingeben möchte. Das will mir an meinem 22-Zoll-Monitor (immerhin!)
nicht immer gelingen. Also müssen der Touchscreenstift oder dann
doch die Maus her. Die Werbesprüche, dass HW 7 da lohnende Verbesserungen böte,
halte ich für unzureichend belegt. So kommt mir dieses Upgrade erst einmal nicht ins Haus. Der neue PC hätte ohnehin gar nicht HW 6 haben müssen, witzigerweise riet mir der Händler sogar davon ab. So startet seiner Aussage zufolge HW 6 sogar später als 4.2. Um ein größeres Set verkaufen zu können, ließ ich mich zum Upgrade überreden. Noch wusste ich nicht, dass es ein mittelgroßes Theater mit iLok und dem Samplesetfabrikanten geben sollte. Hätte ich gewusst, dass Sonus paradisi weiterhin 4.2-kompatible und attraktive Sets herausgeben sollte. Nun, das wäre ein Thema für eine weitere Podcastfolge. Zurück zum Recording.
Da ich mich nicht sofort auf die zwei gefühlten Favoriten festlegen möchte, beziehe ich die drei weiteren Set in die Sondierungen mit ein. Zahlreiche Tests ergeben für mich jedoch, dass Haverhill/Binns und Oakland/Skinner ausscheiden. Letztere erscheint mir im Vergleich auch selbst in der aufgemotzten Extendedvariante sehr flach, nahezu eindimensional zu klingen. Vielleicht hat es etwas mit den Mensuren und der Intonation dieser typischen US-amerikanischen Orgel zu tun. Auch die Addition verschiedener Convolution Reverbs verschafft keine Linderung. Der Haverhill verhelfen die Reverbs zu ein wenig mehr Grandeur, aber klanglich bleibt sie mir für das Menuett zu mulmig.
Bleiben also Bückeburg, Billerbeck und London
übrig. Eine
Qual der Wahl. Im Laufe des Vergleichens ergibt sich, dass mir die
Addition von
Diffuse und Rear am Spieltisch doch sehr gut gefällt, obwohl ich
jahrelang ein Liebhaber des direkten
trockenen Sounds war. Tipp: Wer seine Präzision verbessern möchte, übe
bitte mit einem kleinen Dry-Orgelset. Ein Cembaloset ist noch
schonungsloser.
Da
im Menuett jazzoide Harmonien (mit Sexten, Septimen und Nonen)
vorkommen,
gestaltet sich der Klang mit dem Set der Bückeburger Janke-Orgel
schwierig, auch wenn die originale Stimmung laut HW-Einstellung zu
"Equal" modifiziert worden sein soll.
Sorry, es geht einfach nicht. Erweiterte Harmonik und eine
historisierende Stimmung, da
Hauptwerk darüber hinaus nicht channelübergreifend stimmen kann - wenn
ich einen Samplesethersteller richtig verstehe - passen nicht zusammen.
Das ist bedauerlich, da doch dieses kostenfreie Set hohe
Prägnanzqualität besitzt und den gar nicht einmal so trockenen Raum der
Bückeburger Stadtkirche gut abbildet.
Späteres Erwachen und der Plan B
So
fertige ich eine weitere Aufnahme mit dem Billerbeck-Set an. Ein Set,
an das ich mich zweifelsohne erst gewöhnen musste, da auch die reale
Orgel etwas sehr Strenges, ja nahezu Neutrales an Klangkultur besitzt.
Zunächst hielt ich es für die Ungnade des Einzeltonsamplings: Jede
Pfeife erhält den maximalen Winddruck und kann sich nicht mit den
benachbarten Kolleginnen einschwingen. In der Tat ist dieses eine
Herausforderung, der sich so mancher Sethersteller ideenreich stellt. Im
Falle des Billerbeck-Sets bleibt der Klang jedoch auffallend
analytisch.
So verwende ich Diffuse und Rear
zu 100 Prozent,
den Direct-Channel blende ich vollkommen aus. Es soll ja etwas für den
Zuhörer werden. Eine akustische Spieltischatmosphäre ist eher etwas fürs
Üben. Das spätere Abhören an
anderem Ort und zu anderer Zeit (um die Psychoakustik zu überlisten)
gerät jedoch zur Enttäuschung: Diffuse und Rear zu 100 Prozent sind zu
wolkig, einfach too much. Am
häuslichen Spieltisch fühlte ich einen grandiosen Orgelklang, ein
Mittendrin, in
der Aufnahme ist's damit vorbei: von einer Fernorgel will ich nicht sprechen, aber zumindest habe ich den Eindruck, dass die Orgel in einem Hallenbad
installiert wurde. Eine neblige Wachküche - falls das jemand noch kennt - mag auch als akustische Metapher dienen.
"Georgy" sei - u.a. mit einer entlarvenden Kovarianz - widersprochen
Kommen wir nun zu einem Foren-User, er nennt sich Georgy, schreibt erkennbar anonym, auch wenn er sich manchmal wohl zusätzlich Michael nennt, kennt sich der eigenen Schilderung zufolge sehr gut mit der von ihm favorisierten Multikanal-Abstrahlung aus und erwartet meinem Eindruck zufolge durch eine zuweilen auffällig derbe Diktion ein gerüttelt Maß an zuzuschreibenden Distinktionen.
Wie dem auch sei, Georgy meinte unlängst, dass sich der beabsichtigte Gesamtklang eines Samplesets durch die Addition der Channelklänge generiere. Ich versuche, das zu abstrahieren und bezeichne diese These als additive Komplementärität. In diesem Zusammenhang äußerte er wohl auch seine Vorliebe für Semi-Dry-Samples.
Um mit Thomas Mann zu sprechen: Diese Anschauung teile ich nicht. Ich habe andere Hörerfahrungen gesammelt, denn die addierten Channel-Sounds erbringen insgesamt einen Klang, dem es an Prägnanzqualität zu mangeln scheint. Ich will gerne konstatieren, dass sie zunächst Fülle und Steigerung suggerieren. Insbesondere die Release-Samples lassen den Klang jedoch erheblich unpräziser erscheinen.
Bezüglich der Semi-Dry-Samples kann ich nur feststellen, dass sie den Eindruck eines synthetischen Sounds massiv verstärken. Vielleicht wären sie mit zahlreichen Tricksereien in einer mehrkanaligen Abstrahlung so zu integrieren, dass die Künstlichkeit nicht zu sehr ins Gewicht fällt. Allerdings stellte sich dann die Frage, ob der Aufwand das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewährleistet.
Im Laufe der Jahre musste ich feststellen, dass einem nicht unwesentlichen Anteil schreibender Nutzer profunde Spiel- und Hörerfahrungen am realen Instrument Pfeifenorgel in unterschiedlichen Räumen fehlen. Eine Kovarianz ist durch die weithin fehlenden Veröffentlichungen von Musikaufnahmen vieler Foren-User gegeben; sie allein auf Schüchternheit zurückzuführen, wäre mitnichten glaubhaft.
Von Elektrotechnik und dergleichen mögen manche Foren-Matadoren eine ganze Menge verstehen, spätestens aber, wenn ich mir vergegenwärtige, welche Sets durch sie gehypt oder verrissen werden, wird mir klar: Vom Orgelklang an sich, da haben sie nicht so sehr die Ahnung. Wie sollten sie auch?
Proportionale Komplementarität als Chance für Prägnanzqualität
Wenn ich mich hier deutlich gegen das verbreitete Fake-Surround ausspreche, dann habe ich zwei gute Partner an meiner Seite: Logik und Klang. Meine derzeitige Arbeitshypothese lautet: Stereo-Channels - im Bereich der Orgelsoftware-Sampler - suggerieren bei unreflektierter Addition Räumlichkeit, verringern allerdings v.a. die Prägnanzqualität erheblich. Wenn ich einen realen Sound generieren möchte, muss ich Stereo-Channels komplementär verstehen, und zwar nicht additiv, sondern proportional.
Konkret bedeutet das: Ich setze zwei Stereopaare voraus und diese beiden dürfen insgesamt 100 Prozent Klanganteil besitzen. Noch konkreter: Zu 75 Prozent Diffuse (oder Direct) passen beispielsweise 25 Prozent Rear. Auf diese Weise ist ein realer Sound gegeben, mit dem ich virtuell durch das Kirchenschiff zu wandern vermag.