Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601   

                                                                                                                                   

          

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Macht, Sex und Kirche   

Confronting Power and Sex in the Catholic Church - Rezension zum Buch von Bischof Geoffrey Robinson: Macht, Sexualität und die katholische Kirche - Eine notwendige Konfrontation  

Wer in Robinsons Buch polemische Attitüden sucht, wird ebenso enttäuscht sein wie der durchschnittliche volkskirchensozialisierte Leser irritiert zurückbleiben muss und zwangsläufig in einen weiteren Denkprozess hineingerät, der ihn nicht mehr loslässt. Man spürt: Der bischöfliche Autor schreibt mit brennender Sorge um die Sache des Wanderpredigers Jesus von Nazareth. 

Gewiss wird man die mit sehr viel Lebenserfahrung gewonnenen Einsichten des pensionierten Klerikers aber auch pointieren können: Das System katholische Kirche stecke im Gefängnis der Vergangenheit und werde ohne nachhaltige Veränderung gegen die Wand fahren, was sich - in seinem Ausmaß und innerkirchlich noch kaum recht erfasst - gerade an den zahlreichen Fällen sexualisierter Gewalt deutlichst und mit aller Traurigkeit erweise.   

"Der Australier, als Kind selbst missbraucht, stellt in seinem Buch kritische Anfragen an das Verhältnis von Sexualmoral und Macht in der Kirche. Ein besonderes Buch zur Jesus-Nachfolge: ehrlich, zornig, prophetisch."                   (Der Sonntag - Kirchenzeitung des Bistums Limburg)                                   

Mehr als Anfragen: ersehnter Klartext mit Tiefgang                                               
Die offenen und intellektuell redlichen Gedanken kommen hier von jemandem, der nicht nur das süße Gift der Hierarchie gekostet hat, sondern auch über viele Jahre die Missbrauchskommission der australischen Bischofskonferenz leitete. Robinson fokussiert im Wesentlichen zwei Kernpunkte: die Morallehre und die Lehre von der Kirche. Dieses sind nicht nur zwei klassische Fachdisziplinen der Theologie, sie stellen indes die absolut virulenten Konfliktfelder dar, auf denen man sich als hauptamtlicher Mitarbeiter systemischen und auch sicherlich existenzgefährdenden Stress mit dem Arbeitgeber Kirche einhandeln kann. Abseits von Kanzel und Papier wird zwar vieles gedacht, laut sagt es jedoch kaum jemand. Und in der Regel schon gar nicht ein Bischof als jeweils gefühlter Generalvikar päpstlicher Potentia - eingedenk der Tatsache, dass im klerikalen Sektor die Ja-Sager und im vorauseilenden Gehorsam Handelnden mehr und mehr die Oberhand zu gewinnen scheinen. Aber das nur nebenbei.

Robinson stellt seine "Summa theologica" im Gewande einer angenehmen Sprache ohne die üblichen und oft entleerten Floskeln dar. Gewiss sind seine Worte tiefreligiös und zeugen versöhnlich von einer dichten Lebenserfahrung, was nicht nur an den ein jeweiliges Kapitel abschließenden Meditationen deutlich wird. Gleichwohl wird man aus theologischer oder auch insbesondere psychologischer Sicht einiges weiterhin durchdeklinieren können. Die Thesen des Kirchenmannes besitzen indes auch ohne weiteren akademischen Problem-Diskurs einen hohen innerkirchlichen Aufforderungscharakter.  

Brennende Sorge angesichts einer "institutionalisierten Heuchelei"                                          
Wenn hier Robinsons vorgetragene Schlüsse auf zwei Kernfeldern elementarisiert wiedergegeben werden, dann geschieht dieses mit dem Wissen, dass dabei zwangsläufig viele weitere gute Gedanken und Vernetzungen weniger Beachtung finden können. 

Der Autor widerspricht grundlegend der trivialen Sicht, dass das Alleinstellungsmerkmal des - lediglich kirchengesetzlich geforderten - Zölibats der Grund allen Übels sei. Ebenso verneint er die in etwa kirchliche Analyse, dass eine durchweg undifferenziert wahrgenommene Homosexualität die Missbrauchsfälle erklären könne. Er fordert neue Herangehensweisen, die den Umgang innerhalb der katholischen Kirche mit Macht und Sexualität nachhaltig verchristlichen könnten.  

Macht

Das kirchliche System brauche nicht nur ein neues Priesterbild ohne Überhöhung zum besonderen Wesen, sondern auch die systemische Stärkung des bischöflichen Mittelbaus auf Länderebene. Es solle zu Gunsten der Ortskirche und als Korrektiv für die in "schleichender Unfehlbarkeit" überhöht wahrgenommene Rolle des Bischofs von Rom sein, denn dieser müsse vielfach die Anerkennung seiner Autorität vehement einfordern, statt Argumente zu nennen, die doch das letztlich allein entscheidende Gewissen schulen könnten. Dass Robinson den Finger in diese Wunde legt, dürfte seinen unguten Erfahrungen mit Papst Johannes Paul II während seiner Arbeit in der australischen Missbrauchskommission geschuldet sein. Dieser starke Papst habe stets auf seine Autorität gepocht, zeigte sich jedoch in der Frage der Missbrauchsfälle seit Kardinalerzbischof Hans Hermann Groer in einer äußerst defizienten Führungsrolle. Erschütternde Meldungen wie „Johannes Paul II. deckte zeitlebens Padre Marcial Maciel, den Gründer der »Legionäre Christi«. Deshalb will Papst Benedikt seinen Amtsvorgänger nicht seligsprechen“ müssen nicht weiter kommentiert werden.   

Dr. Dieter Funke zur Psychologie der "Heiligen Familie": 

"Zu nennen ist hier vor allem die theologische Konstruktion der »Heiligen Familie«, die als traumatisierendes Beziehungsmodell Pate steht: Der Vater ist nicht der richtige Vater und kein sexueller Partner der Mutter. Die Mutter ist keine richtige Frau, sondern Jungfrau. Der Sohn wird auf diese Weise seiner Kind-Position beraubt und gerät zum Ersatzpartner der Mutter. Dieser wird von der Mutter zum besseren Partner gemacht, er sitzt auf Vaters Platz.                                                                                                     
Solche Beziehungsmodelle sind geprägt von ständiger Rivalität und Machtkämpfen, von Größenfantasien und depressiven Schuldgefühlen, von Entwertungen und Idealisierungen, wie sie sich in der biblischen Konstruktion der Heiligen Familie wiederfinden. ... Diese Feststellung ist keine moralische und hat nichts mit Schuld zu tun, sondern mit Verletzungen. In den biblischen Texten und den Erzählungen der Frömmigkeitsgeschichte wird eine traumatisierte Familie beschrieben: Die Geburt Jesu findet in der Heimatlosigkeit statt, dann folgen Flucht und Morddrohung. Die Eltern sind überfordert. Natürlich hat sich Jesus als Kompensation für diese Traumatisierungen nicht selbst an die Stelle Gottvaters gesetzt. Diese Sicht der Evangelien und der ersten nachchristlichen Jahrhunderte mit ihren Konzilien ist vielmehr das Konstrukt einer Gruppe von Jesus-Anhängern, die selbst schweren Verfolgungen und Entbehrungen ausgesetzt waren. ...   

Das kirchliche Klima, in dem sexuelle Gewalt gedeiht, könnte sich verändern, wenn sich die Kirche trennen würde von krankmachenden Beziehungsmodellen (Heilige Familie) und von neurotisierenden Erlösungsvorstellungen (Sadomasochismus des Opfertodes Jesu)."  

Dieter Funke: Die Wunde, die nicht heilen kann. Die Wurzeln des sexuellen Missbrauch - Eine Psychoanalyse der Kirche
Preis: 16,90 €/ 29,70 CHF - Verlag: Publik-Forum; 160 Seiten; Bestell-Nr: 2923  
ISBN: 978-3-88095-204-1 
  

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"Der Kniefall von Paderborn
Wie schwer sich die Bischöfe mit dem Dialog tun, war in Paderborn zu beobachten. Auf dem Platz vor der Kathedrale haben sich Dutzende Missbrauchsopfer zur Demonstration versammelt. Sie haben den Boden mit weißen Zetteln wie mit Schneeflocken zugepflastert. Auf den Zetteln stehen ihre Forderungen nach echter Entschuldigung und Entschädigung.

Währenddessen leitet im Dom Erzbischof Robert Zollitsch den »Kniefall von Paderborn«, den öffentlichen Bußakt der katholischen Bischöfe. Die Zeichen und Formulierungen legen offen, dass es diesem Bußakt zuvörderst um den innersten kirchlichen Kreis geht, nicht um die Menschen, die zu Opfern wurden und nicht selten für ihr ganzes Leben geschädigt sind. Denn keiner der Hierarchen findet den Weg zu den Missbrauchsopfern draußen vor der Tür.

Zollitsch erklärt, der Bußakt richte sich an Gott. In ihrer eigenen Zeichensprache machen die Oberhirten klar, dass es ihnen ernst sei: Sie ziehen durch die Rote Pforte in den Dom ein, durch die historische Gerichtstür und nicht durch das Triumphtor, sie wählen den Eingang der Sünder. Vor einem Baum- und Lebenskreuz aus dem 14. Jahrhundert bekennen sie gemeinsam ihre Scham und Schuld. Es fehlen Bischofsstab und Mitra, die Insignien bischöflichen Machtanspruchs. Doch wer unter den Zeitgenossen ist imstande, solcherlei Zeichen zu verstehen?

Es hatte zuvor interne Auseinandersetzungen unter den Oberhirten über diesen Kniefall gegeben. Manchen ging das Zeichen zu weit. Franz-Josef Bode, der Bischof von Osnabrück, hatte als einziger deutscher Bischof bereits im November vergangenen Jahres ein öffentliches Zeichen der Reue gesetzt, indem er sich bäuchlings auf den Boden des Doms legte, und die Opfer der kirchlichen Täter um Vergebung bat."  Thomas Seiterich, in: Publik-Forum Nr. 6 (25.3.2011)

Robinson fordert drei Regierungsebenen wie in demokratischen Staaten (Volk, Synode und präsidiales Amt), ohne sich dabei den Bischof von Rom als bloße Galionsfigur vorzustellen. Seine Vorstellungen zielen in sensibler und erfahrener Weise darauf ab, die Gesamtkirche mit dem sensus fidei aller Gläubigen in einen konziliaren Prozess eintreten zu lassen, der mit Respekt das Depositum der wichtigen Glaubenswahrheiten einbezieht. Macht müsse beschränkt und reflektiert werden, was sich beispielsweise in einem alle sechs Jahre stattfindenden professionellen Begutachtungsprozess für Priester und Bischöfe niederschlagen sollte. Ganz konkret fordert Robinson auch die Abschaffung deutlicher Machtinsignien wie Mitra, Hirtenstab, Bischofsring und Brustkreuz.                                                                          
Sexualität

Nach Robinson stellt die von Gott geschenkte Hetero- oder - etwas verklausuliert -  auch die Homosexualität einen wichtigen Lebensbereich dar, der viel Gutes und zugleich viel Leid evozieren kann. Die derzeit als christkatholisch geltende Sexualethik sei massiv durch - von Jesus eigentlich überwundene - reinheits- und eigentumsethische Vorstellungen in einer dualistischen Leibfeindlichkeit verstellt, die den Verstoß zuvörderst als Beleidigung Gottes betrachte. Dieses wirke sich in Missbrauchsfällen als katastrophale Falle aus, da man daraufhin vielerorts lediglich bemüht war, die vermeintliche Balance lediglich zwischen strafendem Gott und Täter wiederherzustellen. Das Opfer gerate in fataler Weise aus dem Fokus. Robinsons "ursprüngliche Sexualethik" ist personal begründet und muss wieder erlernt werden. Konkret ist dieses dann die "Ethik der Liebe, der Gerechtigkeit und der Güte", die sich u.a. in folgender Maxime äußert: "Wesentliches Kriterium für die moralische Beurteilung einer Handlung muss das Wohl der unmittelbar Beteiligten und der Gemeinschaft sein." Man merkt, Robinson ist von einem Anything goes weit entfernt und fordert einen neuen moralischen Diskurs der Kirche.

Bischof Geoffrey Robinson: Macht, Sexualität und die katholische Kirche. Eine notwendige Konfrontation        

Preis: 18,90 €/33,00 CHF - Verlag: Publik-Forum - 320 Seiten - Bestell-Nr: 2901 - ISBN: 978-3-88095-196-9                                                       

                                                                                                                         Perspektiven?              

Usprünglich wollte Robinson sein Buch mit dem Titel "Nichts ist so hässlich, nichts ist so schön" versehen, er verwarf diesen Plan jedoch. Die Worte stammen übrigens aus einem Zitat des späteren Kardinals John Henry Newman, der einem Freund kurz vor seinem Übertritt zum katholischen Ritus schrieb: "Es gibt nichts auf Erden, das so hässlich ist, wie die katholische Kirche, und nichts, das so schön ist wie sie." 

Bischof Robinson misst der erschreckenden Problematik des sexuellen Missbrauchs eine Impulskraft zu, die es im Gegensatz zu anderen Konfliktfeldern vermag, eine umfassende Veränderung der kirchlichen Kultur zu bewirken. Zweifel an dieser Auffassung sind jedoch durchaus berechtigt, auch wenn sich viele redlich um den Aufbruch zu neuen Quellen bemühen und die Kraft des Heiligen Geistes wahrlich nicht unterschätzt werden darf. Manches spricht jedoch dafür, dass der Patient Priesterkirche sich insgesamt immer noch gesund wähnt, obwohl er bereits sterbenskrank ist.  (mpk)                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      

                                                                                                                         

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