Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche
Erzählt Judith Klaiber eine Verschwörungstheorie?
Betrachtungen zur theologischen Neo-Grammatik des Scheiterhaufens
Frankfurts Koordinaten seien vorweg zitiert, um Dinge des Alltags zeitsparend zu ordnen. Mein Tipp: Fangen Sie damit gleich bei diesem hier vorliegenden Text an und behalten Sie Frankfurts Fragen bitte bei der Lektüre stets im Hinterkopf. (Das muss nun als MuTh-Mini-Rezension von „Bullshit“ reichen, dieses Büchlein ist genial, galant und günstig.)
Verschwörungstheorie & Alltag
Das Wort Verschwörungstheorie ist derzeit
mächtig in Mode. Zumindest im Diskurs der sog. Zivilgesellschaft. Und so stellt sich für mich die Frage, inwieweit eine Verschwörungstheorie dem Spannungsfeld Humbug/Bullshit zuzuordnen wäre.
Seit Jahren begegnen mir Verschwörungstheorien in beruflichen
Gesprächen, vereinzelt auch im Bekanntenkreis. Zunächst wusste ich nicht
angemessen zu reagieren; da ich ein sensibler und höflicher Mensch sein möchte,
reagierte ich in der Regel zunächst mit empathischem Kopfnicken. Um mich dann
abzugrenzen und das Gespräch zu steuern, verblieb ich eher bei einer Mischung
aus floskelhaft Hilflosem und dem Beratungssprech wie „Ich weiß nicht recht,
was ich jetzt davon halten soll … Verstehe ich Dich richtig, wenn Du damit
sagen willst, dass …“
Nun, mit zunehmender Übung ignorierte ich oder bezog argumentativ deutlich Stellung, wenn ich mich mit den neuesten kruden Theorien z.B. zum 11. September konfrontiert sah. Mein Allround-Textbaustein lautete in etwa: „Überprüfen Sie bitte noch einmal, ob Ihre Quellen seriös sind!“
Verschwörungstheorie & Ambivalenz
Im Laufe der Zeit bemerkte ich, dass das Spannungsfeld jedoch recht
ambivalent und durchaus komplexer ist, als ich zunächst dachte:
1. Zweifelsohne gibt es Verschwörungstheorien, über die einen
konstruktiven Diskurs zu führen recht anstrengend bis unmöglich sein kann.
2. Verschwörungstheorien arbeiten mit der Suggestion von Geplantem, von Geheimem und linearen Zuschreibungen von Kausalitäten. Das Absurde scheuen sie keineswegs.
3. Die mögliche Diagnose einer Verschwörungstheorie ist terminologisch per se bereits so engführend und phänomenologisch
exklusiv, dass manche Verschwörungstheorien per definitionem gar keine
Verschwörungstheorien darzustellen scheinen. Sie sind indes überraschende Hypothesen oder Ideologeme und berühren zuweilen Zonen des Esoterischen.
4. Oftmals werden weitere Aspekte und Nuancen der dargebotenen Thesen übersehen.
5. Im Vorhalt einer Verschwörungstheorie sehe ich mitunter ein Argumentum ad
hominem, das den Vortragenden entwerten soll.
6. Wenn man eine These nicht
erörtern und den Diskurs verweigern möchte, ist es recht einfach, sie dem Genre Verschwörungstheorie zuzuschreiben.
Die argumentative Auseinandersetzung findet oftmals nicht statt.
7. Der moralische Einsatz
des Wortes Verschwörungstheorie generiert Macht und sichert Deutungshoheit.
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Carolin Kebekus mag mit ihrem Rap-Video provozieren, ihr gelingt dieses durch einen musikalisch und lyrisch sehr eloquenten Standard, auch wenn man an der einen oder anderen semiotischen Wendung Anstoß nehmen darf. Kebekus ist katholisch sozialisiert und bewahrheitet den Grundsatz "Semel catholicus semper catholicus" (einmal katholisch, immer katholisch) auf eine ganz neue soziologische Art und Weise. Offensichtlich spricht sie im Gegensatz zur Linzer Pastoraltheologin Judith Klaiber ihren Diskurspartnern nicht die Würde des Glaubens grundsätzlich ab. Ein feiner, aber bedeutender Unterschied innerhalb der Grammatik des Scheiterhaufens.
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Viganò-Aufruf & Kardinal Müllers prominente Unterschrift
Nun spricht alle Welt über Kardinal Müller und seine prominente Unterschrift auf dem Viganò-Aufruf „Veritas liberabit vos!“ Insbesondere am Terminus „Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht“ („world government beyond all control“) nimmt man Anstoß, da er bei zahlreichen Rezipienten Verschwörungstheoretisches in mächtiger Dosierung triggert. Der interessierte Leser kann sich hier ein eigenes Bild machen:
https://veritasliberabitvos.info/aufruf/ (nicht mehr verfügbar)
Ehrlich gesagt, ich verstehe die Aufregung über diesen Aufruf nicht vollumfänglich. Sie scheint mir auch hermeneutisch subkomplex zu sein. Müllers und Viganòs Welt muss man theologisch deklinieren können, ich ordne beide Herren den späten Vertretern eines katholischen Integralismus zu. Dass meine Welt eine gänzlich andere ist, spielt dabei keinerlei Rolle. So what? Den Verantwortlichen muss das elementare Recht zugesprochen werden, den Aufruf zu veröffentlichen und eine nach ihrer Sicht der Dinge notwendige größere Autonomie der Kirche anzumahnen. Wenn sie Argumentationen nutzen, die nicht nachvollziehbar sind, dann kann ich dagegen argumentieren und es besser machen. Mon Dieu, das ist bitteschön dialektisch auszuhalten.
Staatskirche & Renitenz
Sympathisch finde ich bei allem möglicherweise Verwerflichen an Viganòs Aufruf
– und jetzt wird’s politisch inkorrekt – die kirchliche Renitenz gegenüber
staatlichen Verordnungen. Kirche hat sich meines Erachtens in der Corona-Krise
auch zum Teil hinter dem Gottesdienst-Streaming versteckt und ich frage mich,
ob das Aussetzen aller öffentlichen Gottesdienste nicht auch eilfertig und
subordinierter Natur war. Es leuchtet mir nicht ein, dass man nicht mit
geringeren Besucherzahlen die elementar wichtige hygienische Sicherheit wie zum
Beispiel in Baumärkten hätte gewährleisten können.
So ist in diese Fragestellung die weiterreichende Kritik der Theologin Christine Lieberknecht grosso modo miteinzubeziehen, denn Gottesdienste sind nur ein Teilaspekt. Kurzum: Kirche wirkt auf mich zuweilen staatskirchlich übermotiviert.
Sie merken, hier sind wir schon inmitten einer inhaltlichen Auseinandersetzung, die man fortsetzen könnte. Sie fehlt mir in der kirchlich-gesellschaftlichen Debatte. Stattdessen höre ich angesichts des Viganò-Aufrufs den monophonen Chor bigotter Heliumnasen, der entrüstet „Verschwörungstheorie“ skandiert und den Diskurs schlichtweg verweigert, anstatt begründet zu widerlegen. Aber nicht nur das.
Judith Klaiber & Verschwörungsmythiker*innen
Erschüttert bis verstört war ich nach dem Hören der Einlassungen einer
jungen Theologin aus Linz, denn sie geht noch einen ganzen Schritt weiter. Sie
heißt Judith Klaiber, ist dem Vernehmen nach promovierte Assistenz-Professorin an einer österreichischen Privat-Uni. Wer jetzt meint, ich würde ihr einst beherztes Engagement bei Twitter bewerten, der hat falsch gewettet. Das ist mir zu dumm.
Nein, Judith Klaiber war im renommierten Deutschlandfunk mit einem Interview zum Thema des Viganò-Aufrufs zu hören. Dort bedauerte sie, dass man „Viganò und Co.“ so dermaßen viel Aufmerksamkeit widme. An dieser Stelle hatte ich mich bereits gewundert.
Indes reagierte sie tatsächlich im Interview mit einer beachtlichen These, die ich für eine beinharte Verschwörungstheorie halte: „Und Viganò und Co. haben aber eben ein ganz klares Ziel, sie wollen weiterhin Franziskus als Häretiker diffamieren und stigmatisieren, und eine scheinbare marxistische Veränderung der Kirche wollen sie verhindern. Das ist ein ganz klares politisches Kalkül und ihnen ist kein Mittel tatsächlich zu schmutzig, um diesem Ziel irgendwie … auf diesem Ziel weiterhin voranzukommen.“ Hinweise oder Belege habe ich mitnichten gehört.
Der Topos einer Verschwörung (geplant, geheim und linear) gegen Papst Franziskus ist nicht neu und wird von seinen Verteidigern immer wieder vorgetragen. Eine Argumentation zugunsten der päpstlichen Optionen ersetzt er freilich kaum.
Eiskalte Strategie & Verschwörungsmythos
Das in Klaibers Intonation hörbar eifrige
Augurengrinsen gefällt mir nicht. Aber die Benennung dieses Umstandes ist zu subjektiv, ja
zugegebenermaßen polemisch. Was jedoch objektiv zynisch wirkt, manifestiert sich
in ihrer vorgeblichen Dekonstruktion der Vorgänge, wenn ich das recht verstanden
habe: „Viganò und Co.“ bezeichnet sie als „Verschwörungsmythiker mit ihren ganz
eigenen eiskalten politischen Strategien“, die Desiderate besetzen und sich dann (also offensichtlich erst in einem weiteren Schritt) „verbinden mit einer Suche nach
einer religiösen Legitimation“.
Ich muss persönlich schlussfolgern, dass
Klaiber den Initiatoren von „Veritas liberabit vos!“ wohl so etwas wie die Würde des Glaubens abspricht.
So fällt sie ein abgrundtief vernichtendes Urteil über ihre Meinungsgegner/Diskurspartner: Es
sind erstens Verschwörungstheoretiker, die zweitens mit Gott gar nichts am Hut
haben.
Wie Sie sicherlich bemerken können, attestiere ich persönlich der Linzer Theologin mit aller kognitiven Unsicherheit zwar eine Verschwörungstheorie resp. einen Verschwörungsmythos, aber ich verweigere nicht den Diskurs, wie es meiner Wahrnehmung zufolge so häufig geschieht. Ihren wunderbar innovativ-diachronen Terminus Verschwörungsmythos oder Verschwörungsmythiker finde ich wirklich gut. Echt jetzt.
Tit for tat & Grammatik des totalitären Scheiterhaufens links wie rechts
In der Tat, ich kann insbesondere mit der ekklesiologischen Sicht der Dinge von Viganò und Co. mutatis
mutandis nicht viel anfangen. Die pastoraltheologische Welt von Judith Klaiber
ist für mich jedoch auch keinerlei Deut besser. Meiner Wahrnehmung zufolge bereitet
es Klaiber Schwierigkeiten, ihre Widersacher in die Communio sanctorum miteinzubeziehen.
Klaibers Ausweichen auf die Frage nach einer kirchenrechtlichen Sanktion für Viganò
und Co. wirkt beredt, denn Benedikt Schulz vom DLF spricht die Exkommunikation konkret
an.
Das Zündeln mit der Grammatik des Scheiterhaufens hat eine lange kirchliche Tradition. Sie ist in jedem kirchlichen Lager anzutreffen, egal ob rechts oder links, ob konservativ oder reformerisch. Weitere gesäßgeografische Kategorien erspare ich der Leserschaft, denn: Machiavelli lebt.
Zu subsumieren wäre, dass ein gedeihliches Miteinander, ja
gar Synodales nie und nimmer mit Klaibers Modus funktionieren kann. Schon gar
nicht, wenn man genau das macht, was man selbst dem Gegner vorwirft. Sorry, letztendlich
assoziiere ich angesichts dieses Interviews von Judit Klaiber ethische Hybris und ansprüchlich Totalitäres.
Im insinuierten XXL-Gewand von Toleranz und Diversität finden meist nur eigene Fürsprecher Obhut. Die ernüchternd magere Substanz wird kaschiert. Wenn Viganò, Müller und die
anderen Unterzeichner Verschwörungstheoretiker sind, dann stellt sich für mich die
logisch konsequente Frage: Wären sie denn bei Judith Klaiber nicht in allerbester
Gesellschaft?
Quinta Essentia
Im Sinne einer vorläufigen Quinta Essentia: Vieles spricht dafür, dass es sich bei den o.g. Einlassungen von Judith Klaiber - im Sinne Harry Frankfurts - um Bullshit handelt, der mitnichten an Wahrhaftigkeit interessiert ist. Gleichwohl wäre diese Conclusio ein vergleichsweises mildes Urteil. Ebenso vieles spräche für die Kategorisierung der Behauptungen Klaibers als Verschwörungstheorie.