Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601





Katholischer Impfzwang: Sancte Carole ora pro nobis

Sind 2G-Gottesdienste und 2G-Mietverträge christlich? Nein! 

Auch wenn die Vorzeichen alles andere als das sind, was einem vormals vertraut schien, so gilt es wohl, das Beste aus der Situation zu machen. Mittlerweile stellt sich ja eine gewisse Routine ein. Indes gesellt sich zunehmend auch die Frage dazu, inwieweit es gelingen kann, einst zu einer Normalität zurückzukehren, wenn sich die zivilisatorisch mühsam internalisierten Linien verschoben haben. Und da mag gar nicht von den ehemaligen „roten Linien“ eines Kanzlers zu sprechen sein, der den lieben Gott für seinen Amtseid nun mitnichten zu brauchen schien.

Plattentektonik der Mentalitäten à la Corona

Die coronäische Plattentektonik der Mentalitäten ist bereits seit Längerem in vollem Gange. Man kann es beispielhaft konkretisieren.

1. 2G-Gottesdienste nehmen zu. Also Gottesdienste für Auserwählte mit der Wir-müssen-draußen-bleiben-Regel sind gemeint. Nochmals zum Mitschreiben: Ungeimpfte dürfen den Gottesdienst nicht besuchen, auch wenn sie einen aktuellen negativen Test vorweisen können! Das Traurige ist die Tatsache, dass diese Regelung für Gottesdienste oftmals staatlich gar nicht gefordert wird. Kirchen handeln im vorauseilenden Gehorsam und halten sich selbst für weniger wichtig als Grundversorger bzw. Geschäfte des täglichen Bedarfs.

2. Eigentlich nicht qualifiziertes Personal, das einem in dieser Funktion durchaus leid tun kann, wird autorisiert, bei unspektakulären Einkäufen meinen angeblichen Gesundheitszustand in staatsdienender Weise zu überprüfen. Man vergleiche: Bei einer Krankmeldung brauche ich meinem Arbeitgeber nicht die Art der Erkrankung mitzuteilen, sie steht auch nicht auf dem sog. Krankenschein. Ich stelle fest: Bereits zur Zeit der Volkszählung von 1983 war man datenschutzrechtlich auf einem höheren Sensibilitätsniveau.

3. Es erübrigt sich in diesem Rahmen, die verstörenden postdemokratischen Machtfantasien sog. Ethiker und tatsächlicher populistischer Politiker über Beugehaft, Krankenkostenbeteiligung und De-facto-Behandlungsverweigerung für Ungeimpfte im Genaueren zu erörtern. Dinge, die ich wegen des bislang anerkannten Solidaritätsprinzips vor wenigen Monaten noch für völlig unsagbar gehalten habe.

4. Was ist mit den Kindern in entwicklungspsychologisch wichtigsten Phasen, die nun über viele Monate geduldsam zu erlernen hatten, dass die Nähe zu einem Du grundsätzlich Gefahr bedeutet? Was bedeutet es, nur noch Vermummte zu sehen und nicht sein wahres Gesicht zeigen zu dürfen? Ich befürchte, dass der Mentalitätswandel bei ihnen am stärksten verinnerlicht sein wird.

Katholischer "Impfzwang" in einem Wohnheim? 

An diese Mentalitätsverschiebungen bereits gewöhnt, hat mich die folgende kafkaeske Nachricht dennoch fast umgehauen: Gesellschafter und Beirat eines katholischen Werkes für Studierende einer bekannten Universitätsstadt scheinen sich einhellig dafür auszusprechen, neue Mietverträge an die Voraussetzung des 2G-Status zu koppeln. Auch Anschluss- und Verlängerungsverträge sollen offensichtlich vollumfänglich nur unter dieser Maßgabe vergeben werden. Es ist für mich ein katholischer Impfzwang angesichts der Mietpreise für Studentinnen und Studenten.

Als Geimpfter und Dauer-Selbsttester (dieses vorauseilend zu erwähnen, ist auch dem Mentalitätswandel geschuldet!) wundere ich mich darüber, wie hier - logisch inkohärent - mögliche Testverpflichtungen oder andere pragmatische Lösungen außer Acht gelassen werden. Hat sich allen Ernstes noch nicht der Umstand herumgesprochen, dass Geimpfte das Virus recht erfolgreich übertragen können?

Die chiliastischen Heilsversprechen à la Biontech und Establishment verwelken. Und so suchen sich mäandernde Enttäuschungsenergien neue Projektionsflächen zwecks Affektabfuhr.

Brüchiger Firnis abendländischer Errungenschaften

Ich bin darüber entsetzt, wie mit dem Grundgesetz der Gleichheit und dem Evangelium der Inklusion und Diversität umgegangen wird. Bei Letzterem sollte z.B. an das jesuanische Axiom Mt 11,28 oder an die paulinische Freiheitsformel Gal 3,28 gedacht sein.

Derzeit verstehen wir unter Solidarität leider weitestgehend das, was wir von anderen zu fordern hätten: Lass Dich impfen, damit ich geschützt bin. Ganz abgesehen von der vielleicht medizinalen Illusion und der Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (insbesondere bei Kindern) mag Solidarität auch die entgegengesetzte Richtung zulassen: Kann ich nicht mit denjenigen solidarisch sein, die sich aus guten Gründen nicht impfen oder boostern lassen?

Sprechen wir aber erst gar nicht von der christlichen Soziallehre, obwohl ein Blick auf zwei der drei Grundsäulen wie Personalität und Solidarität durchaus interessant sein könnte. Nein, die Trias der Französischen Revolution ist als säkularisierte Form abendländischer Errungenschaften gewiss kommunizierbarer: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (sprich Solidarität)! Wo sind sie geblieben?

Was sich hier in Kopf und Herz gewandelt haben mag, wenn die Hemmschwellen derart gefallen sind, kann ich nicht beantworten. Der Firnis unserer gesellschaftlichen Errungenschaften scheint erheblich dünner und brüchiger zu sein als angenommen. Es enttäuscht mich, wenn kirchliche Funktionsträger ihrem eigentlichen Auftrag nicht gerecht werden, staatlichen Aktionismus eilfertig sekundieren und Menschen, die sich nicht impfen lassen, schlicht diskreditieren.

Tröstend wirken hingegen sachliche Sichtungen außerhalb des kirchlichen Milieus. So empfehle ich die Lektüre des Buches „Realität des Risikos“ von Julian Nida-Rümelin, da mir seine deontologische Argumentation schlüssig erscheint.
Mitsamt seiner Co-Autorin Nathalie Weidenfeld zeigt er auch in sozialpsychologischer Hinsicht auf, wie sich eine Gesellschaft auf das Terrain der Unverhältnismäßigkeit begeben kann.

Heiliger Karl B. vs. Karl L. - das nur zum Thema Pest

In derart verunsichernden Zeiten mag ein Solidaritätsaufruf innerhalb der communio sanctorum (Gemeinschaft der Heiligen) mit den Worten "Sancte Carole ora pro nobis" (Heiliger Karl, bitte für uns!) angebracht erscheinen. Nun, es ist kein medienaffiner Politiker, sondern der wirkliche Karl gemeint, nämlich Karl Borromäus, der Heilige der Pestkranken.

Apropos Pest: Man mag es sich nicht ausmalen, welche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen eine Pest- oder Ebola-Pandemie mit signifikant höherer Letalitätsrate zeitigen würde, wenn man die bereits gegenwärtigen Verwerfungen betrachtet.

Die Eingangsfrage "Sind 2G-Gottesdienste und 2G-Mietverträge christlich?" beantworte ich mit einem deutlichen Nein. Gleichwohl sind sie ein Nachweis des vollzogenen Mentalitätswandels. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen: Ein frohes Fest mit viel Resilienz
(mpk 24.12.2021)

                                                                                                                         

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