Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche
ISSN 2509-7601
- Phänomenologische Sichtung der Klimaschutz-Debatte
- Max Scheler lässt mit Säkularisaten grüßen
- Absentismus, merkantile Influencer und Widersprüche
- Öko-Populismus, Unwissenschaftlichkeit und LOL-Zenit
- Rezo offenbar totalitär
- Wut-Prophetin: Gretas doch sehr große Schuhe
- Schuld und Vergebung am Beispiel #LangstreckenLuisa
- Greenwashing-Ablassbriefe mit dem Kobold
Update/Text komplett überarbeitet
Phänomenologische Sichtung der Klimaschutz-Debatte
Da die Diskussion zum Klimawandel ungeachtet der markant-linearen Züge auf säkularisierte religiöse Elemente verweist, sei sie auch in diesem unpolitischen
Journal bedacht.
Die Debatte zum sog. Klimaschutz - wenn sie denn
eine wirkliche ist - wird überaus personalisiert und höchst moralisch
geführt. Im Übrigen mutet Klimaschutz ähnlich wie das ältere Wort
Umweltschutz putzig an, denn das
eigentliche Ziel ist doch offensichtlich der Schutz der Menschen.
Klimaschutz und Umweltschutz sind also utilitaristisch zu betrachten.
Häufig wird das in diesem weithin ultimativ wirkenden Diskurs vergessen.
Nota bene: Im Folgenden geht es mir um eine phänomenologische Sichtung der Debatte. Mitnichten wird hier ein inhaltliches Für oder Wider der anthropogenen Verursachungen und beeinflussbaren Zusammenhänge dargelegt. Dass ein achtsamer Umgang mit Ressourcen vonnöten ist, soll außer Frage stehen. Gleichwohl hoffe ich auf eine
Klimapolitik der Wahrhaftigkeit, die auch die Bezieher der
kleinen oder ländlichen Einkommen berücksichtigt und die Emissionen
nicht nur verlogen ins Ausland verlagert oder unerwähnt lässt. Aber nun der Reihe nach.
Ökologischer Fundamentalismus (hier kürze ich semantisch) ist etwas leichter mit Hilfe der Wertethik Max Schelers zu verstehen. Die intuitive Bereitschaft, einen Wert ultimativ "zu setzen", scheint
kongruent zu sein. Sie paart sich offensichtlich auch mit ehemals religiös-kirchlichen Deutungen, die nunmehr in Form von Säkularisaten wahrzunehmen sind. Sehr deutlich tritt ein solches Säkularisat - wie bereits nahegelegt - beim sog. Klimaschutz zutage: Dieser hat schöpfungstheologische, soteriologische, eschatologische und vor allem moraltheologische Wurzeln.
Die intensiv wahrzunehmenden semantischen Klimaschutz-Variablen mögen Hinweise darstellen und so abstrahiere ich die derzeitige Debatte: Schuld in Form des Guten, das unterlassen wurde, oder gar der Leugnung von Glaubensinhalten kann transformiert und der Vergebung zugeführt werden. Die Umkehr zum Glauben ist dabei die Voraussetzung für die verheißene Rettung. Der Einzelne befindet sich im Bereich persönlicher und zugleich kollektiver Verdammnis oder Erlösung. Angst, ja sogar Panik spielen antreibenden Rollen. Sie können vor dem baldigen Untergang bewahren. Letzteres entspricht zwar nicht der klassischen kirchlich-theologischen Lehre, die doch stets eine reflektierte Reue für die Vergebung oder die bewusste Metanoia für das gelebte Credo voraussetzt, aber dieser Umstand verweist auf die volksreligiösen Anteile der deutlich apokalyptischen Klimaschutz-Szenerie.
Freitags fallen seit geraumer Zeit unter der informellen Schirmherrschaft der schwedischen Jugendlichen Greta Thunberg Schülerinnen und Schüler durch weithin geduldeten Absentismus und zugleich radikal-maximale umweltpolitische Forderungen auf (Fridays for Future). Kanzlerin Angela Merkel ordnet die Proteste zunächst einer hybriden Kriegsführung zu. Im weiteren Verlauf der Entwicklung goutieren mehr und mehr Politikerinnen und Politiker die Bewegung und ignorieren die Schulschwänzerei.
Unmittelbar vor der Europawahl 2019 macht der deutsche YouTube-Influencer Rezo mit dem Clip "Die Zerstörung der CDU" und milionenfachen Klicks auf sich aufmerksam. Das politische Genre ist für ihn neu, zuvor widmete er sich musikalischen Inhalten. Mittelbar wirkt das professionell erstellte Video wie ein Wahlwerbespot zugunsten von Bündnis 90/Die Grünen. Weitere kommerzielle Influencer nutzen diese Gelegenheit und vergemeinschaften sich klickaffin.
Zugleich werden im Nachgang zu diesem Hype Nachrichten der folgenden Art verbreitet: YouTube
war im Jahre 2016 dafür verantwortlich, dass 10 Millionen Tonnen CO2
freigesetzt wurden. In diesem Jahr werden es sicherlich nicht weniger
sein.
In diesem Spannungsfeld wird der Betrachtende unweigerlich von kognitiven und emotionalen Ungleichgewichten bedrängt und durchdrungen, und das unabhängig davon, wo und wie er sich in dieser Klimadiskussion positioniert.
Ich habe mir Rezos Rede
auch als Audiodatei intensiv angehört. Zur angebotenen - zweifelsohne hypermotorischen - Bildfolge möchte ich nichts Analytisches schreiben. Mir fiel u.a. die Haarfarbe auf, die mich eine bestimmte Partei assoziieren lässt.
"Rezos Umgang mit Quellen und
Fakten ist also keineswegs so brillant, wie es zahlreiche Reaktionen in
den sozialen Netzwerken behaupten." - ""Wenn ich solch ein Video mache,
dann mache ich es ordentlich", sagt Rezo am Anfang seiner Rede auf
YouTube. Zumindest in Bezug auf den Klimawandel stimmt das nicht."
Situation B: Dieses Argumentum ad hominem ist für mich ebenfalls nicht entlastend, wenn ich ganz anderer Meinung bin und keinerlei Bedenken hinsichtlich der Vielfliegerei habe. Frau Neubauers Anspruchsberechtigung, mir hypermoralische Vorhaltungen zu machen, greift inhaltlich nicht, da ich zu einem anderen Schluss gelangt bin und ich ihre Argumente für nicht schlüssig halte. Ihr Standpunkt ist für mich schlichtweg unmaßgeblich. Allenfalls kann ich die Argumentationsweise nutzen, um die schwere Realisierbarkeit ihres Standpunktes zu verdeutlichen.
Rezos Einlassungen in puncto Klima
etc. stellen für mich die beabsichtigte Hauptaussage (siehe 54:21) seines nahezu im
Beatbox-Metrum und mit zahlreichen Stimmregisterwechseln dargebrachten Manifestes dar.
Rezo lässt sich sehr wenig auf die Details seiner zahlreichen Behauptungen ein; er verweist stereotyp auf einen wissenschaftlichen Konsens und seine im Clip angegebenen Quellen. Das könne man alles nachlesen. Sein redundantes Argumentationsschema im Dauer-Da-capo: Die Wissenschaft verlangt das, die CDU wollte das auch mal und jetzt macht sie nichts.
Wer zu Rezos Fragen aufwerfenden Umgang mit Quellen eine
Zitierautorität braucht, darf sich beim Faktencheck von Spiegel online
vergewissern:
Den intellektuell höchst entlarvenden Zenit erreicht er mit seiner
Behauptung, dass er bei allen Instituten angerufen und sich dort nach
der Unseriosität gegenteiliger Standpunkte erkundigt habe (siehe 9:30).
Ich erlaube mir an dieser Stelle eine Bemerkung, nachdem ich hoch sieben zu lachen hatte: Das ist Influencer-Recherche, die das Wort Chuzpe gänzlich
neu mit Inhalt füllt. Rezo würde - unabhängig von seiner professionellen Unterstützung durch eine Firmen-Entourage
- keine
Proseminar-Arbeit in einem gesellschafts- oder geisteswissenschaftlichen
Fach mit der dargebotenen dialektischen Naivität je meistern. Sorry, Rezzo ist mir mit seinem aggressiven Populismus unsympathisch.
"Es geht hier nicht um verschiedene legitime politische Meinungen. Sondern es gibt nur eine legitime Einstellung." (siehe 52:22)
Die zugrundeliegende Sicht verstößt nicht nur gegen
wissenschaftliche Grundsätzlichkeiten, deren Kenntnis und Einhaltung
Rezo penetrant zu beteuern versucht: Eine derartige Grundhaltung deckt
sich schlichtweg nicht mit unserem Grundgesetz.
Rezo setzt sich sehr stark dem Verdacht aus, totalitär zu denken. Sein YouTube-Manifest besitzt ein demagogisch-sophistisches Fundamentum.
Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, auch wenn wir uns aus guten
Gründen beim Ziel einer anzustrebenden Dekarbonisierung völlig einig sind.
In rationaler Hinsicht sieht es bei Greta Thunberg nicht besser aus. Der - kirchlich mitunter als Prophetin wahrgenommenen - Jugendlichen nehme ich ihre Botschaft jedoch schon eher ab. Und das eingedenk des gar nicht einmal geringen Eindrucks, dass ihr Vater, ihre Kamarilla und der damit einhergehende finanzschwere Lobbyismus mein Misstrauen stimulieren sollten. In die
grotesk und apokalyptisch anempfohlene Panik verfalle ich mitnichten.
In diesem Zusammenhang sei jedoch Erzbischof Heiner Koch aus Berlin explizit verteidigt, wenn er Greta im Bereich des Prophetischen wahrnimmt. Seine Kritiker möchten Prophetisches lediglich historisierend im biblischen Kanon und leider unterkomplex ausmachen. Das ist lebens- und wohl auch theologiefern. Koch hat Recht, wenn er Greta Thunberg als eine junge Frau mit einem scharfen Blick auf wahrhaftige Perspektiven und einer über sie hinausweisenden Botschaft wahrnimmt, die Orientierung anbietet. Man sollte schon genau lesen, was er gesagt hat.
Es stellt sich jedoch die eindringliche Frage, ob diese Schuhe womöglich auch zu groß sein könnten. Thomas Söding bezieht im Domradio zu dieser Fragestellung diplomatisch und zugleich deutlich Stellung.
Spätestens seit ihrer wohl in puncto persönlicher und familiärer Prädisposition mitteilsamen Wut- bzw. Hassrede auf dem UN-Klimagipfel am 23.09.2019 in New York mache ich mir auch zunehmend Sorgen um sie. Der Auftritt hat mich verstört zurückgelassen. Zudem befürchte ich eine weitere Radikalisierung des Diskurses.
Gretas Erfolg mag auch darin
begründet sein, dass sie den Widerspruch zwischen Ansprüchlichkeit und Realverhalten
ihrer Klientel mit ihrer Besonderheit blitzableitend auf den Punkt bringt. Keiner könnte diesen Kontrast besser illustrieren als die
deutsche Vertreterin ihres Anliegens, nämlich Luisa Neubauer
(#LangstreckenLuisa). Das Interesse der Öffentlichkeit scheint Widersprüche dieser Art gerne zu geißeln, nicht ohne Grund erhalten Nachrichten von grünen Vielfliegern erhöhte Aufmerksamkeit. Sie entlasten angeblich im Spannungsfeld eines Herrschaftsdiskurses von Schuld und Vergebung resp. Schuldzuweisung und Vergebungsbitte. Und somit wären wir wieder bei den Säkularisaten.
Gleichwohl stellt sich die grundsätzliche Frage: Ist es legitim, in einem Kontext der moralischen Konkurrenz ein Argumentum ad hominem auszusprechen?
Ich meine: ja! Das Argumentum ad hominem hat eine längere legitimierte Tradition als bis zu Heinrich Heines Wintermärchen und dem bekannten Vorwurf, Wasser zu predigen und doch Wein zu trinken. Ganz abgesehen von der antiken Rhetorik, auch im Neuen Testament wird es gerne genutzt, so z.B. recht polemisch in Mt 23,3. Dort müssen sich die Schriftgelehrten und Pharisäer im weiteren Verlauf Dinge anhören, die in der Gemeindesituation während der Entstehungszeit der Evangelien begründet sind: Die Pharisäer stellen die Gegnerschaft der frühen christlichen Gemeinden dar. Aber das wäre jetzt noch einmal ein Thema für sich.
Machen wir es einmal ganz konkret: Wenn ich als hypothetischer Vielflieger Luisa Neubauer mit ihrem eigenen Flugmeilenkonto konfrontierte à la "Du hast es ja selbst nicht geregelt bekommen", so wäre folgendes Szenario möglich:
Situation A: Dieses Argumentum ad hominem ist für mich nicht entlastend, wenn ich mit ihr im Grunde meines Herzens derselben Meinung bin, dass Vielfliegen nicht gut ist. Frau Neubauer ist dann ebenso wie ich versagend. Meine eigene Situation verändert sich moralisch nicht.
Situation B: Dieses Argumentum ad hominem ist für mich ebenfalls nicht entlastend, wenn ich ganz anderer Meinung bin und keinerlei Bedenken hinsichtlich der Vielfliegerei habe. Frau Neubauers Anspruchsberechtigung, mir hypermoralische Vorhaltungen zu machen, greift inhaltlich nicht, da ich zu einem anderen Schluss gelangt bin und ich ihre Argumente für nicht schlüssig halte. Ihr Standpunkt ist für mich schlichtweg unmaßgeblich. Allenfalls kann ich die Argumentationsweise nutzen, um die schwere Realisierbarkeit ihres Standpunktes zu verdeutlichen.
Wir sehen: Ein Argumentum ad hominem ist zweifelsohne zulässig und vielleicht lustvoll, aber eher inhaltlich wenig zielführend.
Wie gut, dass die Server dieser
Journal-Seiten mit zu 100% (wahrscheinlich vogel-, fledermaus- und
insektenschädlichem) Ökostrom betrieben werden. Meine Greenwashing-Ablassbriefe haben also einen kleinen und doch erheblichen Haken, nicht nur den des tieffrequenten Infraschalls von Windrädern oder der systemimmanenten Dunkelflaute mitsamt der Photovoltaik.
Das Bonmot von Annalena Baerbock, dass der Strom der sog. erneuerbaren Energien im Netz gespeichert würde, darf hier für sich alleine wirken und wird lediglich durch ihre weitere kongeniale Aussage übertroffen, dass "Kobold" in Akkus vorhanden sei. Aber herrje, bin ich nicht nun gar in die Falle des Argumentum ad personam hineingetappt? Dabei wollte ich doch nur Pech beim hypermoralischen Denken diagnostizieren. Vielleicht mag ich mich selbst in meiner CO2-Scham entlasten wollen, obwohl ich bereits feststellte, dass dieses Unterfangen mehr doch lust- als überhaupt sinnvoll ist.
Wie dem auch sei: Beschließen wir hiermit die Betrachtungen eines bekennenden Nicht-Fliegers und passionierten Fahrradfahrers im Spannungsfeld politisch korrekter Hypermoral. Schauen wir einmal, wie sich die Dinge entwickeln.
Ein achtsamer Umgang mit Ressourcen ist dringendst vonnöten und schöpfungstheologisch geboten. (mpk - Juni/September 2019)