Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

Die wenigen Worte über die selbst wachsende Saat gibt es nur bei Markus. Dort kann man sie leicht zwischen den beiden anderen agrarischen Gleichnissen (Sämann und Senfkorn) überlesen, was auch den Status des eher Unbekannten erklärt.
Das ist zu bedauern, denn dieses „Gleichnis vom geduldigen
Landmann“ – wie es einst in der Zürcher
Evangeliensynopse genannt wurde (21. Auflage 1983) – offenbart wohltuend
Grundlegendes auf dem Terrain der exekutiven Funktionen. So lautet der Text:
„Und er sprach: Mit
dem Reich Gottes ist es so, wie wenn einer Samen aufs Land wirft; er schläft
und steht auf, Nacht und Tag. Und der Same sprosst und wächst empor, er weiss
nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das
volle Korn in der Ähre. Wenn aber die Frucht es zulässt, schickt er sogleich die Sichel,
denn die Ernte ist da.“ (Markus 4,26-29 - Übersetzung der Zürcher Bibel/www.bibelserver.de)
Feinjustrierung des Fokus
Beim Betrachten unterschiedlichster Exegesen fällt auf, dass der Fokus doch immer wieder allzu sehr auf das Von-selbst-Wachsen der Saat („automátä“) ausgerichtet zu sein scheint. Wenn wir den vermutlichen Sitz im Leben und die Adressatenorientierung dieser Perikope näher betrachten, hätte das die wohl ursprünglich Angesprochenen kaum überzeugen können. Jesus will die Eiferer, Hyperaktiven und Aktionistischen keineswegs hin zur Untätigkeit korrigieren.
Die sog. Volxsbibel bringt dieses Misverständnis einer nachgerade antriebslosen „Wird-schon-werden!“-Mentalität gut auf den Punkt, indem sie eine semantisch flapsige Übersetzung darbietet: „Nachdem er alles ausgesät hat, geht er pennen, und am nächsten Tag fängt alles schon an zu wachsen, einfach so, ohne dass er was gemacht hat.“ (kursive Hervorhebung durch d. Red.)
Den Rest regelt Gott
Nein, nein. Jesus hat's im Blick. Das Feld muss bestellt, die Arbeit muss verrichtet werden. Jeder hat zu tun. Morgens, mittags und abends. Und das wusste man in einer agrarischen Kultur des ersten Jahrhunderts besser einzuschätzen als heute. Der Bauer – nennen wir ihn einfach mal so – möge nach getaner Arbeit vertrauensvolle Geduld haben, deswegen könne er nachts beruhigt schlafen.
So ganz ohne den Menschen wird es also nichts mit dem
Reich Gottes. Die Fülle des Lebens braucht zumindest voraussetzende, mitunter
auch mühevolle Bereitschaft. Insofern wirkt die alte Überschrift der Zürcher
Evangeliensynopse mit dem „geduldigen Landmann“ recht zielorientiert, weil sie
beide Aspekte beleuchtet. Der Landmann ist das Synonym der Mühe. So trifft sie
den Kern: Jeder macht das, was er kann, den Rest regelt Gott.
Lebensmotto: aktives Gottvertrauen
Eugen Drewermann bezeichnet übrigens in seinem Markus-Kommentar ein Gleichnis als einzig wirklich gewaltfreie Form der Lehre. Recht hat er: So scheint es das sensible Angebot einer Antwort im Rahmen des Zuhörens und Verstehens zu sein. Ein Gespräch. Und so ist es auch hier mit der selbstwachsenden Saat. Kurz, eindrücklich und ergebnisoffen. Es mag kein Zufall sein, dass Drewermann diese Worte genau zu dieser Perikope schreibt, denn Markus 4,26-29 hat das Zeug zu einem Lebensmotto, das Resilienz erwirken mag.
Vielleicht kann man es mit einem Gottvertrauen inmitten
engagierter Gelassenheit zusammenfassen.
© Matthias Paulus Kleine - April 2025
[Bildquelle: Wikimedia Commons CC-BY-SA 3.0]