Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601






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Michael Triegel ist ein Virtuose der Polyvalenz

"Der eine Engel gibt dem and'ren Engel 'nen Kick" - Eine Betrachtung der Lithografie "Engel" (2022) unter Einbezug von Schülermeinungen

Text im Schreibprozess/Musik zum Bild ("Annotatio") mit Noten für Klavier oder Orgel in Vorbereitung

Zunächst hatte ich keinerlei Interesse an diesem Opus. Triegel ist mir seit Längerem bekannt, aber das Thema Engel steht für mich angesichts der zeitgenössischen Vielfalt an Elaboraten als Platzhalter des Esoterischen. Manchmal kann man sich ja kaum retten. Gutgemeinte Geschenke warten zuweilen auf das Schrottwichteln mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen.

Andererseits zeigt diese Fülle der Vermarktung des Topos Engel, wie groß die kommunikative Schnittmenge ist: Engel, das geht immer. Selbst Agnostiker, die immerhin auf der eingestandenen Suche nach dem Transzendenten stehen, oder gar waschechte Atheisten werden zumindest für einen Moment respektvoll innehalten, wenn sie verkitschte Putti der Sepulkralkultur wahrnehmen und doch all' das grundsätzlich wenig goutieren.

Bei Triegel haben wir es jedoch mit ausgewachsenen und weniger lieblichen Engeln zu tun. Sie sind der gestaltgewordenen Diminutivform wahrlich entwachsen. Der untere sogar merklich. Er steht im Schatten und hat die besten Jahre hinter sich. Aber nun der Reihe nach.

Günter Langes Bilddidaktik

Im Unterricht gehe ich bilddidaktisch nach der Methode des kunstaffinen Theologen Günter Lange vor. Die habe ich im Laufe der Jahre ein klein wenig heruntergebrochen und auf vier Schritte reduziert. Meine persönliche Modifikation lautet:
  1. Was sehe ich alles? Gehe im Bild spazieren! Beschreibe! Keine Vermutungen!
  2. Wie ist das Bild gebaut? Was ist rechts, links, oben, unten, im Vordergrund, im Hintergrund, wo sind welche Farben? (Formenanalyse)
  3. Was löst das Bild in mir aus? Was zieht dich an und lockt dich? Was ist abstoßend oder störend?
  4. Was hat das Bild zu bedeuten? Woher kenne ich das sonst noch? Jetzt sind Vermutungen erlaubt.
Damit kein Missverständnis entsteht: Das sind Prof. Günter Langes Ideen und Worte, die ich für meinen schulischen Alltag etwas elementarisiert habe. Günter Lange war in den Jugendjahren meines Vaters Vikar in einer Dortmunder Pfarrgemeinde. Gemeinsam besuchten wir die Veranstaltung in der Katholischen Akademie Schwerte zu seinem 80. Geburtstag. Insofern ist auch ein mittelbares Narrativ der Beziehung vorhanden.

Kontrast von heile und gezeichnet

Die Schülerinnen und Schüler machten mir Triegels Bild "Engel" schmackhaft. Sie entdeckten nach anfänglichem Zögern jede Menge. Insbesondere der untere und mittlerweile flügellose Engel war von besonderem Interesse. Er musste erst einmal als solcher identifiziert werden. Er besitze ja eigenartige "Bänder" und "Drähte" und sei überhaupt im Gesicht ganz anders. Ich habe mich durch diesen sehr ergebnisoffenen Unterricht an Triegels Kontrastdarstellung von heile und gezeichnet (im wahrsten Sinne) herangetastet. Unterricht ist auch stets geistige Osmose. Ein Segen des Alltags und das angesichts aller Herausforderungen.

Zahlreiche Bemerkungen zielten nicht nur auf die Flügel, sondern auch auf die Kleidung. Dass der untere Engel, der in Wahrheit eine beschädigte Gipsskulptur mit Flügelrudimenten darstellt
und dem Licht abgewandt steht, seine neue Nacktheit durch das hilflose Klammern an seine Kleidung zu kaschieren versucht, wurde mehr und mehr deutlich. Der obere Engel hat damit keinerlei Probleme, seine Kleidung wird durch einen einzigen Gurt aus Stoff gehalten, obwohl er sich bewegt. Seine Art des Schwebens und Gleitens war allerdings für einige Schülerinnen und Schüler nicht unmittelbar zu erfassen. Die linke Hand weist zwar in die Höhe und auf etwas anderes, aber die grazile, fast gabelartige Fingerhaltung seiner rechten Hand gab vielen ein Rätsel auf. Solch eine Hand der Schwerelosigkeit hatte man noch nicht gesehen.
  
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