Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601   

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               

                                                    

Campingplatz & Brüssel: Das Kreuz mit dem Kruzifix

Vor langer Zeit hatte ich Kontakt zur katholischen deutschsprachigen Gemeinde Brüssels, deren Gast ich auch sein durfte. Viele Jahre später traf ich auf einem südfranzösischen Campingplatz eine Familie dieser Gemeinde. Der Pater familias war "bei der EU beschäftigt". Wohl auf einer etwas bedeutenderen Ebene der Verwaltung, wie es zunächst gar nicht zu vermuten war. Während eines abendlichen Beisammenseins wollte mir das genannte Oberhaupt der einladenden Familie doch allen Ernstes erzählen, dass der Fluss Lippe in meinem Heimatort (Hamm a.d. Lippe) doch sehr deutlich weniger als 10 m Breite besäße. Ich kenne diesen Fluss seit meiner Kindheit und widersprach zwar zunächst merklich, lächelte nach einer Zeit jedoch innerlich und ließ den guten Herrn die absurde These des nachweislichen Mindermaßes mit litaneiartiger Inbrunst repetieren.

Nun handelt es sich hier auf der zu betrachtenden Ebene gar nicht um die Anzahl der Meter (allein die bekannte Wehranlage besitzt bereits 18 m Breite) oder gar darum, die Integrität des Genannten zu bezweifeln: Es soll vielmehr um den erstaunlichen Brüsseler Zentral-Blick für Dinge gehen, die man dort noch nie aus eigener Anschauung wahrgenommen hat. Nochmals: Der Mann aus Brüssel hatte den Fluss Lippe noch nie gesehen und sprach mir als heimatlichen Augenzeugen den Sensus für die Wahrhaftigkeit mit Nachdruck ab!

Wäre ich nicht sehr versöhnlicher Natur, hätte sich sicherlich ein Streit entwickeln können.  

Szenenwechsel: Der Verstand mag vielleicht sagen: Ja, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), Kruzifixe in den Räumen öffentlicher Schulen seien keineswegs mit der Menschenrechtskonvention der EU (Recht auf Bildung und Religionsfreiheit) vereinbar, ist grundsätzlich okay und laizistisch nachvollziehbar. Dass man auf dieses Urteil recht fundamentalistisch ordinär reagieren kann, ist völlig unbestritten. Restbeständliche oder kleinbürgerlich-christentümliche Schulstrukturen, in den Familien zu Erstkommunion und Firmung quasi genötigt werden, sind einfach nur abstoßend. Keine Frage!

Gleichwohl tut sich doch ein sehr großes Unwohlsein auf. Und nun zu denken, dass ohne Kreuze in Klassenzimmern die sog. Wertevermittlung doch fehlen würde, wäre auch wieder zu kurz gegriffen. Christentum ist viel mehr als Moral im Sinne des vorauseilend gehorsamen Preußentums. Nebenbei: Der protestantische Berliner Dom ist beispielsweise ein beredt-hypertropher Steinzeuge dieser säkularisierten Form des aseptischen Staatschristentums ordnungsmoralischer Art: ein Hörsaal der gehobenen Art. Bürgerliche Religion und das an sich in seiner Basis subversiv-egalisierende Christentum stehen sich häufig mehr im Wege als man gemeinhin denkt, denn von Ferne grüßt immer wieder Paulus mit seiner Freiheitsformel in Gal 3,28 gegen alle Christentümlichkeit.  

Europa definiert sich historisch-kulturell vor allem durch das Christentum. Insbesondere der Humanismus, dem sich heute so mancher verpflichtet fühlt, ist ohne die christliche Zivilisationsleistung ganz und gar nicht zu verstehen. Menschenrechte haben ein christliches Fundamentum. Warum sollte man dem nicht das verabredete Bild in der Form des Kreuzes geben dürfen? Was spräche gegen ein "Herkunftslogo" des christlichen Abendlandes?

Gewiss stellt sich die Frage, ob dieses Bildnis ohne das aktuell gelebte Zeugnis sinnvoll ist und nicht zur Staffage verkommt. Es wäre im Sinne des Europäischen Gerichtshofes noch um vieles anstößiger, wenn ein Lehrer abseits des Religionsunterrichtes Schülern erzählte, dass er ein christliches Fest feiere und er Trost in seinem Glauben anlässlich verschiedener Herausforderungen finde.  

Es geht letzlich um die Bereicherung einer Kultur durch das Nahrhafte, das in befreiender Weise auf die Lebensfülle verweist, die uns über den Alltag hinaus oder auch gerade in diesem transzendiert und dich und mich tragen kann.     

Professor Dr. Dr. h.c. Gert Kaiser zum Thema Kreuz und Werte

"Wert-Herausbildungen entwickeln sich über Jahrhunderte, und nahezu alle kulturellen Schöpfungen der Menschen sind daran beteiligt: und zwar nicht bloß die Schule, sondern auch die Kunst, die Malerei, Theaterstücke, Romane, Kinder- und Jugendliteratur, der Sport nicht zuletzt. Und weil das so langsam geht, halten wir das Sittengesetz oft für etwas, was in unserer Natur liegt. Nichts wäre falscher. […] Vielleicht sind Kreuze, auch in Gerichten, doch nicht überflüssig. Wahrhaftig nicht als Zeichen der Kreuzzüge. Aber als Zeichen eines langen Prozesses der Gesittung." 

zum vollständigen Text von Prof. Gert Kaiser   

Kann es sein, dass die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in einer zentralistischen Hybris gar nicht wissen und fühlen können, um welche sinnstiftende Identitätsverabredung sie Generationen nachhaltig betrügen werden - vorausgesetzt, dass das Urteil befolgt wird. Insofern könnte es sich noch als Bärendienst am Projekt Europa erweisen.  (mpk)    

                                             

                                                                                                                         

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